Weimarer Republik
Die KLS in der Weimarer Republik
Als Folge des 1. Weltkrieges brach Ende 1918 in Deutschland die Revolution aus. Am 9. November musste Kaiser Wilhelm II. abdanken und ins Exil gehen, in Berlin wurde die Republik ausgerufen. Damit begann der Weg zur ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Im Januar fanden in Preußen und in ganz Deutschland Wahlen statt, zum ersten Mal durften auch Frauen wählen – und gewählt werden. Im Frühjahr 1919 traten die „Verfassunggebende Landesversammlung“ für Preußen und die „Verfassunggebende deutsche Nationalversammlung“ in Weimar zusammen. In beiden Parlamenten waren Frauen als Abgeordnete vertreten, darunter auch ehemalige Schülerinnen der KLS. Christine Teusch hatte an der KLS das Lehrerinnenexamen abgelegt, Amalie Lauer als Lehrerin in der Frauenschule gearbeitet. Beide waren nun als Abgeordnete für die Zentrumspartei an der Ausarbeitung der Verfassungen beteiligt, Christine Teusch in der Nationalversammlung, Amalie Lauer für Preußen.
Vieles kam nun in Bewegung, auch in der KLS. Vor nicht langer Zeit hatte man noch dem Kaiser bei seinem Besuch in Köln zugejubelt, Gott, Kaiser und Vaterland die Treue geschworen. Jetzt verfügte das Ministerium für Erziehung, dass „alle im neuen Deutschland bedeutungslosen Bilder der früheren Staatsautoritäten, besonders die Bilder und Büsten Wilhelms II. und des Kronprinzen“, entfernt werden müssten, auch an der KLS (ohne großes Aufsehen, also am Besten in den Ferien). Um die Bilder der Namensgeberin, der preußischen Königin Luise, gab es lange Diskussionen – am Ende durften sie bleiben.
Reformpädagogik, Mitbestimmung, Transparenz sollten neue Leitbilder des Schullebens werden. Und tatsächlich entstanden in der KLS der Elternbeirat und der „Schülerinnenausschuss“ – die Vorläufer unserer heutigen Elternpflegschaft und der Schülervertretung (SV). Der Schülerinnenausschuss trug unter anderem die Verantwortung für die Organisation der meisten Schulfeste (z.B. der Weihnachtsfeier, der Verfassungsfeier oder der Entlassungsfeier der Abiturientinnen); Schülerinnen der beiden höchsten Klassen übernahmen zudem die Pausenaufsichten. Hatte es zuvor eine wöchentliche Sprechstunde aller Lehrkräfte gegeben, so begann man um 1930 zum ersten Mal mit dem „Versuch eines allgemeinen Elternsprechtages, der reichen Erfolg hatte. Immer wieder betonten die Eltern bei ihrem Besuch an diesem Tage, daß ihnen auf diese Weise der Gang zur Schule, den sie aus diesen oder jenen Gründen zu scheuen vorgaben, leicht gemacht sei“.
Wie viel von den hehren neuen Prinzipien tatsächlich im Alltag ankam, ist die Frage. Man kann nur mit den Ochsen pflügen, die man hat. Und der wesentliche Teil des Kollegiums stammte noch aus der konservativen, autoritätshörigen, nationalistischen Gesellschaft des Kaiserreichs und war dort sozialisiert worden – Eltern und Schülerinnen natürlich nicht weniger. Auch die konservativen Moralvorstellungen blieben bestehen, insbesondere für Mädchen, wie eine Schülerin schmerzlich erfahren musste. Sie hatte „eine harmlose Tanzstundenbekanntschaft, einen Gerichtsreferendar. [...] Wenn wir uns morgens zufällig auf unseren Rädern trafen, er kam von Frechen, ich von Klettenberg, beide mußten wir über die Ehrenstraße, um sowohl in die Apernstraße – Luisenschule – als auch zum Gericht – Appellhofplatz – zu gelangen. Gegenüber dem Schulhauseingang oder am Römerturm stiegen wir von den Rädern, verabschiedeten uns, und jeder ging in seinen Stall. Natürlich sahen uns Lehrkräfte, aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, daß eine solche Verhaltensweise mit den Schulvorschriften als nicht vereinbar angesehen wurde. Es war ganz aus, als an einem Sommermorgen ein Fensterputzer seinen mit Wasser gefüllten Eimer am Römerturm abgestellt hatte. Als mein Begleiter vom Rad stieg, stieß er ungewollt mit diesem gegen den Eimer, dessen Inhalt sich ausgerechnet dem eben daherkommenden Fräulein Heller über die Füße ergoß. Hätte ein Blick mich vernichten können, ich wäre nicht mehr lebend in die Schule gekommen. […] Von nun an war ich einer Hure gleich.“
Für die Organisation der Schule brachte die Weimarer Republik große Veränderungen. Mit dem Reichsgrundschulgesetz vom April 1920 wurden die unteren vier Jahrgänge der Volksschulen als verbindliche Grundschule für alle Kinder festgelegt. An der KLS mussten nun die - von nahezu allen höheren Schulen betriebenen - eigenen Elementarklassen abgebaut werden. Auch die (Volksschul-) Lehrerausbildung wurde neu geregelt. Dementsprechend wurde an der KLS (wie überall) die Lehrerinnenbildungsanstalt eingestellt, ebenso die technischen Lehrgänge der Frauenschule.
Alle höheren Mädchenschulen wurden damit neunjährige Anstalten: sechs Jahre Lyzeum (für Mädchen im Alter von 10 bis 16 Jahren), drei Jahre Oberlyzeum. Es gab zwar weiterhin eine verwirrend erscheinende Vielzahl von Bezeichnungen, zumal auch traditionelle Benennungen beibehalten wurden. Im Kern aber unterschieden sich alle Schulen nur noch durch wenige Aspekte in der Stundentafel, v.a. bei der Sprachenfolge. In den Unterrichtsgegenständen und auch in den Abschlüssen waren sie nun alle untereinander und im Verhältnis zu den Jungenschulen gleichberechtigt. Sie alle vergaben das vollwertige Abitur und ermöglichten den uneingeschränkten Zugang zu allen Studiengängen. Allerdings blieb ein Charakteristikum des alten Mädchenschulwesens erhalten: Die Frauenschulen bestanden weiter und konnten sogar noch ausgebaut werden. An der KLS etwa wurde sie 1929 zur dreijährigen Frauenoberschule, die ebenfalls mit einer Reifeprüfung abschloss.
Das alte Frauenbild in der Gesellschaft änderte sich aber nur langsam, wie eine Schülerin aus dem Abiturjahrgang 1925 beschreibt: „Nicht unerwähnt lassen darf ich das Echo, daß mein Entschluss zum Studium, und dazu noch an einer auswärtigen Universität, bei den Verwandten auslöste. Fremd genug war schon die Erlangung der Hochschulreife durch das Abitur. Ein Mädchen, dazu noch die einzige Tochter, gehörte einfach ins Haus, bis sich ein Freier einstellte. […] Mir und meinen Eltern schlugen heftige Vorwürfe entgegen. Und als die Verwandten gar erfuhren, ich beabsichtige in Marburg zu studieren, war es ganz aus“. Doch stetig, wenn auch langsam, stieg die Zahl der Mädchen, die das Abitur ablegten. 1931 waren bereits etwa ein Viertel der Abiturienten in Deutschland Frauen, mit jetzt deutlich steigender Tendenz. Und es stieg auch die Zahl der jungen Frauen, die ein Studium aufnahmen. Besonders beliebt waren bei den Abiturientinnen der KLS die Studiengänge Medizin und Jura, aber weiterhin auch die Tätigkeit als Lehrerin.
Politisch war die Weimarer Republik eine Zeit des Aufbruchs – aber auch eine Zeit schwerer Krisen. 1919 hatten die demokratischen Parteien der „Weimarer Koalition“ eine Mehrheit von fast 80% erreicht. Doch der „Diktatfrieden von Versailles“ mit Gebietsverlusten, Demilitarisierung, Reparationen und – vor allem – der Zuweisung der alleinigen Kriegsschuld erschütterte das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Staatsform. Putsche von links und von rechts, Dolchstoßlegende und Hasspropaganda gegen die „Erfüllungspolitiker“, Attentate, Reparationslasten, Ruhrkampf und Inflation stürzen die Republik ins Chaos.
Das blieb nicht ohne Auswirkung auf die KLS. Am 1. Juli 1922 fand in der Aula eine Trauerfeier für den „von ruchloser Hand ermordeten Reichsaußenminister Dr. Walther Rathenau“ statt, der als Vertreter der „Erfüllungspolitik“ in Berlin einem rechtsradikalen Attentat zum Opfer gefallen war. Zum Gedenken wurde der schulnahe Königsplatz in „Rathenauplatz“ umbenannt (ab 1933 hieß er Horst-Wessel-Platz, ab 1945 wieder Rathenauplatz).
Die Schulgemeinde teilte – wie die gesamte Bevölkerung und alle Parteien von ganz links bis ganz rechts – die Ablehnung des Versailler Vertrages. So wurde am 25. Juni 1922 von allen Klassen „der Zerreißung Oberschlesiens gedacht“ (das von den Siegermächten zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde). Am 13. Januar 1923 „bekundete die Schule in der Aula den tiefen Schmerz über den Einbruch der Franzosen ins Ruhrgebiet“ (das aus Anlass ausbleibender Reparationsleistungen von belgischen und französischen Truppen besetzt worden war).
Kriegsfolgen, Krisen und schließlich der Ruhrkampf erschütterten die Wirtschaft, es kam zur Inflation, dann zur Hyperinflation. Das Geld verlor in rasender Geschwindigkeit an Wert, die Preise stiegen ins Astronomische. Eine Straßenbahnfahrt kostete im Juni 1923 schon 600 Mark, im Dezember 50 Milliarden. Ein Liter Milch kostete im Juni 1440 Mark, im Dezember 360 Milliarden. „Um den schädlichen Auswirkungen des Krieges auf die Schülerinnen entgegenzuwirken“, sollten sie an der KLS „einen warmen Frühstückstrunk“ erhalten (0,2 l Milchkakao). Der Preis dafür stieg von 2 Mark im Oktober 1922 auf 30 Mark bereits im März 1923. Das Schulgeld an der KLS betrug bisher 200 Mark im Jahr, im Juni 1923 stieg es auf 20.000 Mark. Viele Familien aus der Schulgemeinde waren bereits durch Krieg und Kriegsfolgen hart getroffen worden, nun verloren sie ihre gesamten Ersparnisse.
Langfristig sollte sich die Republik von diesen Krisenjahren nicht mehr erholen. Zunächst aber begann die kurze Phase der „Goldenen Zwanziger“. Kunst und Kultur – Malerei und Architektur, Literatur, Mode, Musik und Tanz, Presse, Film und Rundfunk – erlebten in dieser Zeit einen enormen Aufschwung, und damit auch die Alltags- und Freizeitkultur. Vieles schwappte aus dem brodelnden Berlin, der wahrscheinlich modernsten Metropole dieser Zeit, auch nach Köln.
Auch das kam in der Schule an – und sorgte offenbar vor allem für große Befürchtungen. So warnte die Schulleitung Mitte der 1920er Jahre die Eltern vor „wahllosem Besuch von Theater und Kino, vor uneingeschränktem Anhören alles dessen, was das Radio bietet“, überhaupt vor allen „der Großstadtjugend von allen Seiten drohenden sittlichen Gefahren“. Ebenso wurden „die Eltern dringend gebeten, die Schule in ihrem Kampfe gegen die Auswüchse der Mode zu unterstützen.“ Dazu gaben die Schulleitungen der höheren Mädchenschulen eigens gemeinsame Richtlinien heraus.
Man wüsste doch zu gerne, was genau damit gemeint war. Denn auf Fotos aus dieser Zeit wirkt alles brav und gesittet, zumindest im Vergleich zu dem, was uns heute – mal mehr, mal weniger – „normal“ erscheint. Und natürlich wurde am Schuleingang kontrolliert, damit es keine „Exzesse der Mode“ gäbe – dass zum Beispiel der Rock nicht etwa über dem Knie endete, sondern mindestens eine Handbreit darunter.
Im März 1929 gestalteten die Abiturientinnen der KLS anlässlich ihres Abiturs eine eigene Postkarte – zwei Kraniche, Symbole des Glücks, ziehen hoffnungsvoll der aufgehenden Sonne entgegen. Doch die „guten Jahre“ sollten schon bald vorbei sein.
Am 25. Oktober 1929, dem „Schwarzen Freitag“, brach die New Yorker Börse zusammen. Aus der Börsenkrise wurde eine Bankenkrise, dann eine Wirtschaftskrise, schließlich eine Weltwirtschaftskrise von bisher unbekanntem Ausmaß. In Deutschland stieg die Zahl der Arbeitslosen bis 1932 auf 6 Millionen. In ihrer Not und Verzweiflung wandte sich die Bevölkerung immer stärker extremistischen, republikfeindlichen Parteien zu.
Auch an der KLS gerieten mehr und mehr Familien in Not oder konnten sich zumindest die kostspielige höhere Schulbildung nicht mehr leisten. So sank die Zahl der Schülerinnen von 720 (1930) auf 540 (1934). Für die Schülerinnen wurde die Berufswahl immer schwieriger. Deshalb bot „die Schule intensive Berufsberatung an.“ Lehrkräfte nutzen ihre Beziehungen, um den Schülerinnen „zum Eintritt in eine – wenn auch oft bescheidene – Stelle zu verhelfen.“ Auch die dramatische Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung wurde im unmittelbaren Umfeld der Schule spürbar. Die NSDAP hielt Kundgebungen auf dem Neumarkt ab, SA marschierte über die Schildergasse, auf der Helenenstraße gab es Straßenkämpfe zwischen Nazis und Kommunisten.
Das reichte bis in die Schule hinein. Als bei einer Schulaufführung ein Gedicht von Stefan George vorgetragen wurde, das als eine Verherrlichung Hitlers verstanden werden konnte, gab es deutliche Proteste zumindest aus Teilen der Elternschaft. Andererseits erschien bereits vor 1933 eine Schülerin mit einem Hakenkreuzanhänger in der Schule. Dem trat wiederum der Schulkaplan entgegen, dezidiert mit der Bitte um Rücksichtnahme auf die jüdischen Schülerinnen. Anschließend verbot der Schulleiter durch einen Erlass am Schwarzen Brett das Tragen politischer Symbole in der Schule generell – in Ausführung einer allgemeinen Anweisung aus dem Erziehungsministerium.
Jüdische Schülerinnen besuchten die KLS auch in der Weimarer Republik in großer Zahl. Sie und ihre Familien bemerkten bereits Ende der 1920er Jahre eine Verschärfung des Antisemitismus in der Öffentlichkeit. Auch an der KLS wird von Hänseleien gegenüber jüdischen Mitschülerinnen berichtet. Dies entsprach aber nicht der offiziellen Haltung der Schule. So gab es beispielsweise weiterhin jüdischen Religionsunterricht, an Samstagen wurden keine Klassenarbeiten geschrieben mit Rücksicht auf die Sabbatruhe. Jüdische Mädchen konnten auch durchaus eine prominente Rolle spielen: Im Schuljahr 1927/28 leitete die jüdische Oberprimanerin Edith Lorant den Schülerinnenausschuss– heute würden wir sie wohl Schülersprecherin nennen. Am 1. Oktober 1927 hielt sie zudem die Festrede– vermutlich in ihrer Funktion – auf der alljährlichen Verfassungsfeier und „würdigte die Verdienste des Herrn Reichspräsidenten“ anlässlich der Feier zum 80. Geburtstag Hindenburgs.
Literatur:
- Festschrift zur Hundertjahrfeier der Städtischen Königin-Luise-Schule Köln, Köln 1971.
- Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band 5, 1918–1945, hrsg. v. Dieter Langewiesche und Christa Berg, München 1989.
- Rahms, Helene, Auf dünnem Eis. Meine Kindheit in den 20er Jahren, Bern/München/Wien 1992.
- Voss, Ludwig: Geschichte der Höheren Mädchenschulen, Opladen 1952.
- Schuljahresberichte und Ergänzungsmeldungen (DIPF/BBF/Archiv Berlin).