Opfer des Nationalsozialismus an der Königin Luise Schule
“Wir ostjüdischen Kinder besuchten die jüdischen frommen Schulen. Die deutschen Juden kamen ja nicht auf die Jawne (das ist: das jüdische Realgymnasium in der St. Apern-Straße direkt neben der KLS). Sie gingen ins Humboldt, in die Kreuzgasse, die Mädchen in die Königin-Luise-Schule oder ins Oberlyzeum Lindenthal. Wie zum Beispiel auch meine Cousinen, deren Familie schon etwas arriviert war” (Jawne 16).
Der Zeitzeuge Karl David Ziegellaub beschreibt hier einen ganz typischen Zug in der jüdischen Gemeinde und der Bildungslandschaft in Köln – mit einer interessanten Unterscheidung zwischen “deutschen Juden” und “ostjüdischen Kindern”. Es gab jüdische Schulen in Köln, und sie waren auch gut besucht – mehr als die Hälfte aller schulpflichtigen jüdischen Kinder besuchte diese “frommen” Schulen. Dies waren aber vor allem Kinder aus orthodoxen, strenggläubigen Familien mit einer ausgeprägten jüdischen religiösen Identität, oft mit ostjüdischem, vor allem polnischem Hintergrund (Becker-Jákli 328f.; Jawne 14).
Die liberalen Teile der jüdischen Gemeinde begriffen sich dagegen vor allem als “Deutsche jüdischer Konfession”, sie waren national gesinnt, nicht selten nationalistisch, die Religion spielte gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle – wie bei vielen Christen auch. “We were Jews by tradition, not by religion” - so ein anderer Zeitzeuge im Interview mit unseren Schülern. Diese Familien bevorzugten für ihre Kinder vor allem die städtischen Schulen, vielleicht auch, weil sie im Gegensatz zu den privaten konfessionell nicht gebunden waren und damit liberaler waren oder schienen.
Dies galt vor allem auch für die Königin-Luise-Schule: Schon im Kaiserreich und ebenso in der Weimarer Republik wies sie einen sehr hohen Anteil jüdischer Schülerinnen auf. Soweit wir konkrete Zahlen haben, lag ihr Anteil immer bei mindestens 5%, oft sogar bei über 10%. Zahlenmäßig war das zwar nicht so viel – im Jahr 1928 zum Beispiel 40 von 760 Schülerinnen (Voss 264 für die Jahre 1871-1881; Schuljahresberichte 1898/99, 49; 1926/27, 22; 1927/28, 19; Kölner Volkszeitung 22.11.1921). Bedenkt man aber, dass der Anteil von Juden an der Kölner Gesamtbevölkerung bei nur gut 2 % lag, so waren jüdische Mädchen an der KLS doch deutlich überrepräsentiert (Becker-Jákli 324).
Was die soziale Herkunft angeht, so galt für sie das Gleiche wie für die Mädchen christlicher Konfession. Sie stammten in erster Linie aus gutbürgerlichen oder sogar großbürgerlichen Familien, die das nötige Geld und auch die liberale Einstellung hatten, um ihren Töchtern eine höhere Bildung ermöglichen zu können und zu wollen. So finden wir unter unseren Schülerinnen zum Beispiel die Töchter der Warenhausbesitzer Alsberg und Tietz, daneben die Töchter von Ärzten, Anwälten und vielen selbstständigen Geschäftsleuten.
Konkrete Zahlen zu nennen ist zwar nicht möglich, da wir zu viele Unbekannte in unserer Rechnung haben. Dennoch darf man davon ausgehen, dass in den gut 60 Jahren zwischen der Gründung der Schule 1871 und dem Beginn der NS-Diktatur 1933 mehrere Hundert Mädchen jüdischer Konfession die KLS besucht haben. Dass wir von ihnen nach drei Jahren Forschung gerade einmal knapp 50 Namen kennen, ist ein Zeichen dafür, wie schlecht unsere Überlieferungslage ist.
Ab 1933 erweiterte sich dieser Personenkreis deutlich – als Folge der Rassenideologie der Nationalsozialisten mit ihrer Vermischung “rassischer” und religiöser Aspekte. Bis 1933 galt als Jude, wer offiziell der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte. Danach galt ebenfalls als Jude, wer von Eltern oder Großeltern jüdischer Konfession abstammte – einerseits also völlig unanbhängig von der Religionszugehörigkeit, andererseits gerade dadurch begründet. So galt beispielsweise Elsie Berg – jüdische Tochter zweier jüdischer Eltern – als “Volljüdin”. Die Referendarin Ilse Deutsch, die direkt nach ihrer Geburt christlich getauft und erzogen wurde und deren Eltern bereits weit früher vom Judentum zum Christentum konvertiert waren, galt als “Geltungsjüdin” und war einer “Volljüdin” gleichgesetzt. Marie Rhée, christlich getaufte Tochter eines christlichen Vaters und einer jüdischen Mutter, galt als “jüdischer Mischling”.
Sie alle wurden vom ersten Tag an verfolgt und zu Opfern gemacht. Bereits im März 1933 wurde z.B. der Onkel von Elsie Berg, der Anwalt Dr. Arthur Heidenheim, im Gerichtsgebäude am Reichensperger Platz öffentlich gedemütigt, im April boykottierte die SA das Warenhaus von Alfred Leonhard Tietz, Vater von Herta Tietz, beschmierte die Schaufenster und bedrohte die Kundschaft. Die ersten Schülerinnen mussten vielleicht schon durch das “Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen” Mitte 1933 die KLS verlassen, spätestens im Dezember 1938 wurden alle noch Verbliebenen durch das “Gesetz über Schulunterricht an Juden” zwangsweise aus der KLS entlassen (zu den Gesetzen vgl. übergreifend Trapp 74ff.).
Dazwischen lag – für die aktuellen wie alle ehemaligen Schülerinnen und ihre Familien – eine endlose Kette immer weiterer und weiter differenzierter Diskriminierungen. Das Ziel dahinter war, sie zu entrechten, zu demütigen, alle ihre Verbindungen zum Rest der Gesellschaft zu kappen, ihre wirtschaftliche und soziale Existenz zu vernichten, um sie zur Ausreise zu zwingen. Viele wurden so vertrieben – soweit wir bis jetzt erkennen können, stieg die Zahl ab 1935 stetig, ab 1938 insbesondere nach dem Exzess der “Reichspogromnacht” sprunghaft. Eine ganze Reihe unserer Schülerinnen konnte rechtzeitig entkommen, manchmal mit ihren Familien, oft aber auch allein, zum Beispiel mit den sogenannten “Kindertransporten” in die Niederlande, nach Belgien oder Großbritannien.
Aber viele flohen nicht, insbesondere auch die Angehörigen – weil sie die Gefahr unterschätzten, sich nicht von der Heimat lösen konnten, weil man ihnen die finanziellen Mittel genommen hatte oder weil das Ausland sie nicht aufnahm. So haben manche unserer Schülerinnen zwar selbst überlebt, aber viele oder sogar alle Angehörigen verloren.
Auf Dauer sicher war nur, wer nach Großbritannien, Palästina, in die USA oder nach Südamerika gelangte. Die Niederlande oder Frankreich boten dagegen auf lange Sicht keinen Schutz und in vielen Fällen auch keine Rettung. Wer sich nach Kriegsbeginn noch im deutschen Machtbereich befand, konnte nur in Ausnahmefällen noch überleben. Die meisten wurden deportiert und ermordet. Es ist erschreckend zu sehen, dass wir trotz des begrenzten Personenkreises schon jetzt an allen wesentlichen Stationen und Orten des Holocaust auf ehemalige Schülerinnen der KLS und ihre Angehörigen treffen - von der “Polenaktion” 1938 (Charlotte Weißberg) über die erste Deportation aus Köln zur Vernichtung nach Osten am 22.10.1941 (Margarete Berlin) bis zum “Todeszug von Tröbitz” im Mai 1945 (Mutter von Elsie Berg) – in den großen Sammel- und Durchgangslagern im Westen wie Drancy (Liese Lotte Samuel und ihre Familie) und Westerbork (Elsie Berg und ihre Familie) – in den Ghettos im Osten wie Riga (Tante von Liselotte Sussmann), Warschau (Charlotte Weißberg) und Litzmannstadt (Irmgard Weiler) – in Konzentrationslagern wie Bergen-Belsen (Familie von Elsie Berg), Buchenwald und Groß-Rosen (Familie von Edith Jonas), Dachau (Onkel von Lieselotte Sussmann) oder Theresienstadt (Eltern von Ilse Deutsch) – und in den Vernichtungslagern Auschwitz (Elsie Berg, Ilse Deutsch, Edith Jonas), Chelmno (Mutter von Eva Alsberg) und Sobibor (Familie von Thea Juliard).
Für alle, die Opfer geworden sind, möchten wir Stolpersteine auf dem Schulgelände verlegen lassen – als Ehrung für sie und als Erinnerung und Mahnung für uns. Dasselbe gilt für die Mädchen, die als Kinder von Oppositionellen zu Opfern wurden oder selbst - noch als Schülerinnen oder als Erwachsene - Widerstand geleistet und für ihre Überzeugungen Leib und Leben riskiert haben. Gerade auch sie mögen uns als Vorbilder dienen.
Erweisen auch Sie unseren Opfern die Ehre, indem Sie sie nicht vergessen.
Literatur:
Becker-Jákli, Barbara, Das jüdische Köln. Geschichte und Gegenwart. Ein Stadtführer. Köln 2002.
Die Kinder auf dem Schulhof nebenan. Zur Geschichte der Jawne 1919-1942. Materialien zur Ausstellung im Lernort Jawne, Köln 2009 (2. Auflage 2011).
Schuljahresberichte der Königin-Luise-Schule, herausgegeben von der Schulleitung im jeweiligen Schuljahr, liegen im Original für diese drei Schuljahre im Schularchiv vor (ebenso der zitierte Zeitungsartikel in digitaler Form).
Trapp, Joachim, Kölner Schulen in der NS-Zeit, Köln 1994.
Voss, Ludwig: Geschichte der Höheren Mädchenschule, Opladen 1952