Unser Besuch im Landtag am Boys und Girls Day

Kurzfristig hat Herr Riddermann, langjähriger Stufenleiter und Lehrkraft des Leistungskurses Geschichte in der Q1, einen Tag im Düsseldorfer Landtag organisiert: „Da musste ich direkt an dich denken, Lennart“, sagte er, als er mir mit endlosem Elan von dem Event erzählte. Da es sich jedoch um einen Boys UND Girls Day handelte, musste natürlich noch ein „Girl“ gefunden werden, das mit mir zusammen die lange Anreise nach Düsseldorf beschreiten würde. Herr Riddermann überließ die Aufgabe, eine politisch interessierte Mitstreiterin zu finden, dann mir. Da der Besuch im Landtag jedoch schon bald darauf stattfinden sollte, hatte ich genau einen Tag, um diese Person zu finden – eine Herausforderung, die mir extreme Überredenskunst abverlangte. Sofort musste ich an die politisch begeisterte Sophia denken, die mir so manchen schrägen und zugleich tiefgründigen Blick zuwirft, wenn ich bei Diskussionen schon mal übers Ziel hinausschieße. Tatsächlich gelang es mir jedoch, sie von der Sache zu überzeugen. Sie wirkte sogar regelrecht begeistert – vielleicht auch aufgrund der Aussicht, dass damit dann endlich mein minutenlanger Appell an sie ein Ende finden würde.
Am 22. April war es dann so weit, und wir standen vor dem („bescheidenen“) Gebäude des Landtages. Um 10:30 Uhr sollte es beginnen, wir waren tatsächlich um 10:26 Uhr vor Ort: Zuvor waren wir in den falschen Zug eingestiegen, der in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Eigentlich hatten wir noch beim Umsteigen am falschen Bahnhof beschlossen, niemals über diese Peinlichkeit sprechen zu wollen. Schließlich im richtigen Zug angekommen, schickten wir ununterbrochen Stoßgebete in den Himmel auf, dass wir noch rechtzeitig ankommen mochten, denn aus einem Puffer von einer Stunde wurden schnell dreißig, dann zwanzig und zuletzt sieben Minuten. Pünktlich um 10:30 Uhr begann eine Rede einer im Landtag angestellten Frau, die Witze über Preußen machte und zu erklären versuchte, wie ein Gesetz zustande kommt. Hauptsächlich war sie aber damit beschäftigt, Schüler:innen aus dem Publikum unter Druck zu setzen, um sie dazu zu bewegen, nach vorne zu kommen und von einer Kanzel aus Texte vorzulesen. Inhaltlich ging es um die faszinierende Frage, ob das Schulfach ‚Ballett‘ eingeführt werden solle. Die malträtierten Schüler:innen lasen nacheinander Pro- und Kontra-Argumente vor. Wer sich weigerte, wurde vor versammelter Mannschaft von der kleinen Frau mit grauem kurzen Haar schlagfertig und – zugegebenermaßen – sehr humorvoll parodiert. Dies führte dazu, dass Sophia und ich uns hinter allen Schüler:innen in der hintersten Reihe versteckten. Nach diesem Vortrag wurde die versammelte Schülerschaft in kleinen Workshops verschiedener Organisationen bespaßt und für Studiengänge angeworben. Dabei schlenderten wir so semi-motiviert in den verschiedenen Gängen umher, bis uns das liebevoll angerichtete Buffet ins Auge fiel: Zwischen Muffins, Donuts und sehr klein geratenen und schrumpeligen Brezeln konnte man auch noch kleinere Bananen finden, für die wir uns dann im Endeffekt entschieden. Selbst mit vollgestopften Mündern waren wir vor den Mitarbeiter:innen der Workshops nicht sicher: Wir achteten immer darauf, einen genügend großen Sicherheitsabstand zu lassen – dies war jedoch schwieriger als gedacht, da die Mitarbeitenden regelrecht auf Jagd gingen, um Kandidat:innen für ihre Workshops einzufangen. So kam es, dass wir eine Brücke aus Holzklötzen nach den Plänen Leonardo da Vincis bauen mussten: Nach fünf uns schier endlos scheinenden Versuchen gelang es uns nun endlich, und wir durften das hochersehnte Foto machen, das das erfolgreiche Abschließen des Workshop-Einsatzes „Brückenbau nach Leonardo“ signalisierte.
Um 12:30 Uhr wurden wir schließlich von einem Mann abgeholt, der sich mit Vornamen vorstellte und uns erklärte, dass er der Büroleiter von Yvonne Gebauer sei und sie leider entschuldigen müsse (sie musste mit ihrem Hund zum Tierarzt). Ich als jemand, der jeden Abend mit seinem zwölfjährigen Kater einen Zweikampf bestreitet, um ihn seine Zähne zur Zahnsteinvermeidung zu putzen, hatte natürlich volles Verständnis, warum Frau Gebauer nicht hier sein konnte. Aber als kleine Entschädigung könnten Sophia und ich noch ein Foto machen, so der - wirklich sehr nette – Bürovorsteher, das dann auf dem Instagram- und Twitter-Account von Frau Gebauer geteilt werden würde. Wir warfen uns kurze Blicke zu, stimmten dann aber (tatsächlich) zu. Somit betraten wir dann den FDP eigenen Raum im Landtag, der vorübergehend zur Hälfte zugestellt war, da anscheinend keiner damit gerechnet hatte, dass jemand diesen betreten wollen würde, anstatt den „Markt der Möglichkeiten in der Wandelhalle“ zu besuchen. Im Raum angekommen (Anmerkung: Mir ist der offizielle Name des Saals entfallen) wurden wir vom äußerst offenen und sympathischen Büroleiter mit Wissen bombardiert, der sich mit den verschiedensten Zwischenfragen vergewisserte, ob wir auch wirklich noch wussten, wovon er spricht. Das war wieder so ein Moment, in dem uns bewusst wurde, dass es doch nicht ausreicht, wenn man die Tagesschau auf Instagram abonniert hat: Man braucht definitiv eine Kombination aus dem Instagram-Account der Tagesschau und der „Daily Drive“- Funktion auf Spotify, die einem die neuesten Nachrichten in Rekordzeit zusammenfasst. Klipp und klar: Wir hatten bei den meisten Zwischenfragen keine Ahnung, wovon er sprach. Nach einer Stunde und langen Diskussionen über die politische Oberflächlichkeit unserer Generation, die zunehmende Angst vor der AFD, die radikale Zuordnung zu politischen „Lagern“, den Druck und die Angst, die auch Schüler:innen in der heutigen Zeit aufgrund verschiedener Kriege verspüren und der Erkenntnis, dass die politische Bildung der Schüler:innen stark mit dem gewählten Leistungskurs zusammenhängt, fiel dem Büroleiter auf, dass er nun dringend zum Mittagessen aufbrechen müsse. Er betonte, dass es tatsächlich auch im Landtag Sitzgruppierungen in der Mensa gebe, fast genauso wie in der Schule: Keiner wolle sich neben die AFD setzen, die natürlich immer in der gleichen Ecke sitze. Doch auch innerhalb der liberalen Parteien gibt es offensichtlich Unterschiede, denn als Grünen- Mitglied ist es demnach nicht okay, wenn man sich auch nur in die Nähe der AFD setzt: Es müsse die andere Seite sein.
Allein für dieses Gespräch hatte sich die lange und stressreiche Anreise natürlich bereits gelohnt, denn es war wirklich äußerst bereichernd und höchstinteressant. Im Sitzkreis der Politiker:innen zu sitzen und durchs Fenster auf die eher hässlichen Gebäude zu blicken, hat uns wahrlich einen Einblick in den Alltag der Politiker:innen verliehen. Ein Alltag, an den ich mich sogar gewöhnen könnte – aber nur, wenn ich nicht über Ballett als Schulfach diskutieren muss.
 
Lennart, Q1
 

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