Ein Gedenkort für Familie Berg in Braunsfeld
Am 28. September 2021 hat die Schulgemeinschaft der Königin-Luise-Schule wieder 6 Stolpersteine verlegen lassen – diesmal allerdings nicht an der Schule selbst, sondern am Pauliplatz 3a in Köln-Braunsfeld.
Auch wenn die Zeremonie coronabedingt nur im kleinen Kreis stattfinden konnte, hat die Veranstaltung doch eine ganz besondere Bedeutung, und zwar in dreierlei Hinsicht:
Es geht um die Erinnerung an die Familie Berg, um den ersten Gedenkort der KLS außerhalb der Schule, und um einen Rückblick auf die Arbeit der letzten Jahre.
Erinnerung an Familie Berg
Sommerfrische am Meer Juli 1922
hinten: Eduard (* 1885, † 1927) und Friedrike „Friedel“ Berg, geb. Hanf (* 1895, 1945 ermordet Tröbitz);
Mitte: Ludwig „Louis“ Hanf (* 1863, 1945 ermordet Bergen-Belsen), Sophia Hanf, geb. Spanjaard (* 1874, 1943 ermordet Westerbork), Dina „Dodi“ Barmé, geb. Hanf (* 1903, deportiert Theresienstadt, † 2000), Benno Barmé (* 1889, deportiert Theresienstadt, † 1960);
vorne: Lili Berg (* 1918, deportiert Bergen-Belsen, † 1991), Hans Berg (* 1919, 1937 Selbstmord)
Unter den vielen Fotos, die wir von Familie Berg haben, ist dieses das berührendste. Denn auf diesem Foto ist fast die gesamte Familie zu sehen: Die Großeltern Berg, die Eltern, zwei der drei Kinder, dazu Tante und Onkel aus Wuppertal. Es fehlen noch die drei Kinder, die in den nächsten 2 Jahren geboren wurden: Elsie Berg (* 1923), Schülerin der KLS zwischen 1934 und 1938, ihre Cousine Rita (* 1923) und ihr Cousin Richard Barmé (* 1924).
Die Bergs waren eine große, eine glückliche, wohlhabende Familie. Sie waren keine Außenseiter, sondern vollständig assimiliert, vollständig integriert in die Kölner Gesellschaft, Deutsche jüdischer Konfession. Die Männer hatten wie alle anderen ganz selbstverständlich im 1. Weltkrieg für ihre Heimat gekämpft, die Kinder besuchten die städtischen Schulen.
Hier sehen wir sie alle in einem privaten Glücksmoment, in der Sommerfrische, auf einer Urlaubsreise an die Nord- oder Ostsee.
Und gleichzeitig ist dieses Foto ungeheur bestürzend: Von den 6 Mitgliedern der Familie Berg hat nur eines – die kleine Lili – den Holocaust überlebt, von den insgesamt 11 genannten Personen nur 3. Alle anderen sind ermordet worden, zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten im Rahmen dieses einzigartigen Verbrechens (über das Schicksal der Familien Berg und Barmé informiert sie unser Gedenkbuch).
Für Elsie liegt bereits ein Stolperstein vor der KLS. Jetzt haben wir einen Erinnerungsort für die ganze Familie Berg geschaffen, vor dem Haus, in dem sie alle gelebt haben. So bewahren wir die Erinnerung an sie, erweisen ihnen die Ehre – und sie mahnen uns, uns gegen jede Form von Diskriminierung zu wenden und schon den ersten Anfängen zu whren.
Doch wir erinnern an sie nicht nur als Opfer – sie müssen uns auch Vorbilder sein:
Nach ihrer Flucht in die Niederlande arbeitete Elsie in einem jüdischen Hospital. Als die Patienten nach Auschwitz deportiert wurden, ist sie nicht – wie andere – in der Nacht geflohen, sondern ist bei ihren Patienten geblieben und hat sie in den Tod begleitet. Ich halte dies nicht für einen Zufall, sondern für eine Geisteshaltung in der Familie, wie sich an den Geschwistern Barmé zeigt.
Auch diese beiden haben sich den Nazis widersetzt, sie haben Widerstand geleistet – nicht so, wie viele Deutsche, die nicht Opfer geworden sind, nach dem Krieg von sich behauptet haben – sondern echten, aktiven Widerstand. Rita hat jüdischen Familien Fluchthilfe in die Schweiz geleistet. Richard war im aktiven Widerstand in der niederländischen Untergrundbewegung. Beide haben ihr Leben riskiert und ihr Leben verloren – wie in anderer Hinsicht auch ihre Cousine Elsie. Aus diesem Grund freue ich mich, dass die Biographien von Rita und Richard Barmé in unserem Gedenkbuch zu finden sind, auch wenn sie nicht Schüler der KLS waren.
Ein Gedenkort außerhalb der Schule
Für Elsie Berg haben wir bereits im Jahr 2018 einen Stolperstein vor der KLS verlegen lassen, um an sie als unsere ehemalige Mitschülerin zu erinnern. Inzwischen haben wir diesen Stein noch einmal umbetten lassen. Denn inzwischen kennen wir auch die Namen von Elsies jüdischen Mitschülerinnen – darunter eine, die mit ihrer Familie ebenfalls am Pauliplatz 3a gewohnt hat. Jetzt liegen diese Steine im Karrée nebeneinander, und die Bedeutung erschließt sich unseren Schülern unmittelbar.
Bisher habe ich es aber immer als bedauerlich empfunden, dass es zwar einen Stein für Elsie gab, aber nirgends in Köln an ihre Familie und deren schreckliches Schicksal erinnert wurde.
Diese „Lücke“ haben wir nun geschlossen und damit die Dinge in gewisser Weise auch zu einem Abschluss gebracht. Denn jetzt gibt es für alle Mitglieder der Familie einen Stolperstein vor dem Haus Pauliplatz 3a, in dem sie alle gelebt haben.
Zu verdanken ist dies einer gemischten Stiftergruppe aus Schülerschaft, Elternschaft und Kollegium der KLS. Ihnen allen sei ganz herzlich gedankt, namentlich Greta Hagenmayer, Felix Hopf und Flora Schlüter aus dem Abiturjahrgang 2021 und ihren Familien, Dr. Claus Rink sowie der SV der KLS.
Ich hoffe sehr, dass dieses Vorbild „Schule macht“, denn in naher Zukunft werden sich weitere Möglichkeiten für solche Patenschaften bieten.
Ein Rückblick
Bei der Verlegung der Stolpersteine am Pauliplatz war zu meiner großen Freude auch Pauline Reimers (Abi 2018) aus dem Projektkurs 2017/2018 anwesend. Nach einem ersten, richtungsweisenden Einstieg in die Erforschung der Schulgeschichte 2015/2016 war es gerade dieser Projektkurs 2017/2018, mit dem die Arbeit im Detail begann, die ersten Ergebnisse erzielt wurden, die ersten Gedankenspiele und Ideen entstanden für die Entwicklung eines Erinnerungskonzepts der KLS.
Pauline hatte damals die Biographie von Elsie Berg und ihrer Familie erforscht, und auch für sie sind nun die Dinge zu einem Abschluss gekommen. Und für uns beide war dies daher auch der gebotene Anlass, auf die Entwicklungen der letzten Jahre zurückzuschauen und auf die Fortschritte, die sich aus den ersten Anfängen ergeben haben.
Pauline hatte damals eine der ersten Biographien erforscht. Und dies hat sie – hier stellvertretend für alle genannt – mit enormem Einsatz, Leidenschaft und Qualität im Ergebnis getan. Mir hat dies damals die Augen dafür geöffnet, was Schüler zu leisten imstande sind, wenn man ihnen eine Aufgabe gibt, die sinnvoll und wichtig ist, deren Ergebnisse von Dauer sind und die insofern weit über ihre Tätigkeit hinausreicht. Und wenn man ihnen freie Hand lässt.
Pauline ist mit ihrer Arbeit, ihrer Begeisterung für die Sache, ihrer Verantwortung Vorbild geworden für viele andere, die ihr in den nächsten Jahren gefolgt sind. Und so haben wir jetzt schon an die 30 Lebensgeschichten vor dem Vergessen bewahrt, alle eigenständige Forschungsleistungen, viele von höchster Qualität und teilweise enormem Umfang. Und weitere sind bereits in Arbeit.
Damals haben wir zum ersten Mal überlegt, ob wir vielleicht einen Stolperstein verlegen könnten – jetzt liegen bereits 16 vor der Schule, und weitere werden folgen.
Damals haben wir uns gefragt, wie man die Finanzierung sicherstellen könnte, und ob aus pädagogischen Gründen vielleicht an eine Klassenpatenschaft zu denken wäre. Bis jetzt sind alle Steine von Klassen und Kursen übernommen worden, und die nächsten Patenschaften sind bereits gesichert.
Wir haben damals überlegt, wie man die Ergebnisse der Erforschung sichern könnte – im Interesse der Erkenntnis und aus Respekt gegenüber den Verfassern – ob es vielleicht möglich wäre, sie in irgendeiner Form zu publizieren. Inzwischen haben wir ein online verfügbares Gedenkbuch auf der Homepage der KLS, in dem alle bisher fertiggestellten Biographien veröffentlicht sind und alle weiteren ebenfalls aufgenommen werden können. Besonderer Dank dafür gebührt der Schulleitung, die neben vielfältiger anderer Unterstützung insbesondere dieses Gedenkbuch möglich gemacht hat.
Sehr schön zu sehen ist, dass dieses Gedenkbuch zunehmend auch außerhalb der Schule wahrgenommen wird, von anderen Schulen, Forschungseinrichtungen und vor allem auch Angehörigen der Opfer im Ausland, die dort Informationen über ihre Verwandten finden, die ihnen selbst oft unbekannt sind.
Und schließlich komme ich noch einmal auf das Foto der Familie Berg zurück. Dieses Foto ist der Mittelpunkt einer großen Vitrine in der Schule, die einen besonderen Gedenkort der KLS darstellt. Hier sammeln wir die Fotos aller Opfer der NS-Diktatur an der KLS, um ihnen ein Gesicht zu geben. Die ersten Fotos hat Pauline damals von Angehörigen der Familie Berg bekommen, seitdem finden unsere Schüler mehr und mehr Fotos, die sukzessive in die Vitrine aufgenommen werden und so einen Gedenkort von ganz besonderer Intensität schaffen. Ermöglicht wurde dies durch eine schulweite Spendenaktion, getragen von der gesamten Schulgemeinschaft.
Die Idee dazu entstand ursprünglich ebenfalls im Projektkurs 2017/2018, und zwar bei einem Besuch in Auschwitz im Frühjahr 2018. Auch diese Gedenkstättenfahrt ist mittlerweile fester Bestandteil unserer Erinenrungsarbeit.
Gerade im Rückblick auf die Anfänge erschließt sich, was sich in der Zwischenzeit alles entwickelt hat. Dies ist wirklich ein Grund, stolz zu sein. Und dazu haben alle einen Anlass, die dazu beigetragen haben, und das sind sehr viele. Dafür sei ihnen allen von Herzen gedankt.
Besonderer Dank und Anerkennung gilt aber unseren Schülerinnen und Schülern, denn ohne ihren Einsatz, ihr Engagement, ihre Leidenschaft wäre dies nicht möglich gewesen.