Hedwig Winter

Hedwig Winter, Klassenfoto Volksschule Lützowstraße 1931/32 (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln / Sammlung Corbach N 1400,476)

verfasst von den Mitgliedern des Wokshop 1

(Projekttage 29.1.2024-1.2.2024)

 

Einleitung

von Anahita (Q2) und Sophie (8b)

In der letzten Januarwoche fand an der Königin-Luise-Schule (KLS) die jährliche Projektwoche statt, in der alle SchülerInnen vielfältige Projektangebote besuchen und eigenständig Ergebnisse erarbeiten, wie zum Beispiel Theaterstücke, Kochkünste, praktische Förderung des Umweltbewusstseins und Recycling.

In unserem Projekt, welches von Herrn Erkelenz und Herrn Pallaske betreut und geleitet wurde, haben wir uns mit Hedwig Winter eingehend beschäftigt und auseinandergesetzt, einer jüdischen Lehrerin, die 1903 ihre Lehrerinnenprüfung bei uns an der KLS abgelegt hat.

Am Montagmorgen trudeln nacheinander 18 SchülerInnen ein. Von der 8. Klasse bis Q2, es ist eine bunte Mischung. Manche waren letztes Jahr bereits dabei, manche fanden die Projektbeschreibung einfach interessant, andere sehen es als guten Einstieg in ihren Projektkurs, der für die Oberstufe nächste Woche beginnt.

Wir starten mit einer Vorstellungsrunde; obwohl wir alle mit so verschiedenen Ansätzen kommen, teilen wir doch mehr oder weniger die gleichen Erwartungen. Wir wollen uns erinnern. Wir wollen mehr über das Leben und die Schicksale der Personen erfahren, die hier an der KLS lernten oder unterrichteten, bevor sie ausgegrenzt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden.

Nach dem ersten Kennenlernen begeben wir uns auf eine kleine (Zeit-) Reise durch die unmittelbare Nachbarschaft. Wir besuchen den ehemaligen Ort des Eingangs der KLS und der Nachbarschule Jawne, den Helenenturm und Löwenbrunnen am Lern– und Gedenkort Jawne.

Anschließend beginnen wir unser Forschungsprojekt. Herr Pallaske erklärt uns, worauf es bei der Recherche ankommt, zum Beispiel, auf welche Quellen und Zahlen man achten muss, um nicht ungenau zu werden, oder die Hedwig Winter aus Köln mit einer Hedwig Winter aus Saarbrücken zu verwechseln. Als kurze Vorarbeit beschäftigen wir uns mit der Progression judenfeindlicher Gesetze in Deutschland.

Am zweiten Tag beginnt die Recherche selbst. Es entsteht ein konzentrierter Eifer, während wir an Gruppentischen seitenlange Dokumente und Internet–Archive durchkämmen. Neue Informationen sammeln wir an einer Wand, auf Papier und mit Klebeband befestigt. Sehr schnell entsteht ein kurzer Lebenslauf: Hedwigs Geburtsdatum, ihre Eltern, ihre Ausbildung. Irgendwann kommt von einer Seite ein Aufschrei, und eine Recherchierende ruft: “Sie hat einen Bruder, Hedwig hat einen Bruder!”

Aufgeregt scharen wir uns um ihren Tisch, so als wäre Paul Richard Winter gerade auf die Welt gekommen. Wir begutachten seinen Krankenhausbericht wie einen Neugeborenen. Binnen Sekunden hängen neue Zettel an unserer Wand der Ergebnisse, Linien, die ins Nichts führen. Wir sind mit neuer Energie geladen und stürzen uns auf die frischen Fragezeichen: Wer war Paul Richard? Wo hat er gelebt? Wo ist er gestorben?

Nicht einmal eine Stunde später finden wir seinen Namen, seine Frau, Wohnung und Kinder. Kindeskinder. Wir finden eine lebende Urenkelin, an die wir Fotos unserer Arbeit schicken können.

Um kurz vor zwei sind wir fertig für den Tag, aber im Treppenhaus, und vor der Schule, an unseren Stolpersteinen vorbei und zur Bahn, merken wir, dass wir unfähig sind, Hedwig schon loszulassen.

Sie war 61, als sie ermordet wurde. Wir sehen uns gegenseitig betroffen an, kannst du das fassen? Und ihre Mutter war über 80. Älter als meine Oma. Stell dir vor.

Stell dir vor.

Am nächsten Tag kehrt unser Lehrer und Projektleiter, Dirk Erkelen, aus Berlin zurück, wo er am Tag zuvor den Obermayer–Award erhalten hat. Bei einer Präsentation unserer bisherigen Ergebnisse zeigt er großen Stolz.

Es folgt ein Ausflug in den Gedenkort Deportationslager Köln–Müngersdorf, das Lager, in dem Hedwig für drei Monate gefangen lebte. Als wir dann bestürzt wieder in unserem Arbeitsraum sitzen, entscheiden wir uns einstimmig für eine vollständige Biographie von Hedwig Ottilie Winter.

Wir arbeiten weiter und ich schaue mir meine Gruppenmitglieder an.

Gretas Lieblingsschuhe sind Converse mit einem eingenähten Stern. Finn liebt Rollenspiele, bei denen man auf Taktik achten muss. Sophie hat eine kleine blaue Spange im Haar, und Herr Pallaske trinkt am Wochenende gern ein Glas Grauburgunder.

Diese Dinge sind wichtig, sie sind echt und lebendig. Scheinbare Kleinigkeiten, die über Hedwig verloren sind.

Wir sind SchülerInnen und LehrerInnen. Wir leben in Köln. Wir haben Freunde; wir haben Lieblings-Süßigkeiten; wir haben Fächer, die uns mehr liegen als andere. Wir haben wahre, nützliche Arbeit gemacht. Wir waren hier.

Hedwig war auch hier, in diesen Straßen. Wir haben versucht, ihr zu folgen, aber kennen tun wir sie kaum.

Was folgt, ist nur eine Übersicht über die Fakten. Wer Hedwig Winter wirklich war, werden wir wohl nie wissen.

Aber sie war hier. Sie ist wichtig. Ihre Schülerinnen gaben ihr den Spitznamen “Quiseline”. Auch das ist wichtig.

Was folgt, ist die gesammelte Arbeit unserer Projekttage.

Familie und Herkunft
Geburtsanzeige für Hedwig Winter (Kölnische Zeitung vom 22.11.1883)

von Finn (8b), Jacob (9a) und Theo (8c)

Hedwig Ottilie Winter wurde am 22. November 1883 als Tochter des Kaufmanns Sally Winter (geboren 1849) und Rosa Winter (geboren 1861 als Rosa De Beer) geboren. Knapp drei Jahre später, am 9. Juni 1886, kam ihr Bruder Paul Richard zur Welt. Die gesamte Familie war jüdischen Glaubens.

Todesanzeige für Sally Winter (Kölnische Zeitung vom 26.8.1904)

Über den beruflichen Werdegang ihres Vaters wissen wir einiges. Er betrieb eine Getreideagentur zusammen mit seinem Geschäftspartner Albert Anschel, bis er sich mit diesem 1875 zerstritt und er das Geschäft allein weiterführte. 1887 gründete er ein zweites Unternehmen mit dem Geschäftsmann Moritz Lucas. Seine Getreideagentur löste sich 1888 auf, sein zweites Unternehmen löste sich zwei Jahre später ebenfalls auf. 1893 musste er Konkurs anmelden und sein Vermögen wurde unter seinen Gläubigern aufgeteilt. Zu dem Zeitpunkt besaß er eine Garderobenfirma, deren Gründungsdatum unklar ist. Dennoch schaffte es die Familie, ihr Kind Hedwig auf die höhere Töchterschule zu schicken (1907 umbenannt zu Königin-Luise-Schule).

In der Nacht vom 25. auf den 26. August 1904 starb der Vater im Alter von 55 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt. Bis zu seinem Tod war er bei der Firma A. Bernheim angestellt, die Handschuhe herstellte und exportierte.

Schulzeit

von Christian (Q2) und Liam (Q2)

 

Hedwig Winter ging in der Zeit der Hochindustrialisierung zur Schule, einer Zeit, in welcher der gesellschaftliche Status oft durch vererbten Reichtum festgelegt wurde und Bildung nur einer bestimmten privilegierten Schicht zugänglich war. Zu dieser gesellschaftlichen Schicht gehörte auch Hedwig Winter, deren Vater ein wohlhabender Kaufmann war. So war es Hedwig möglich, eine der wenigen Schülerinnen einer höheren Mädchenschule zu werden. Die erste dieser Schulen in Köln war die Königin-Luise-Schule, die damals noch unter dem Namen „Höhere Mädchenschule I“ bekannt war und 1871 zeitgleich mit dem Deutschen Reich gegründet worden war. Obwohl es sich um eine kostenpflichtige Schule handelte und die Bildung von Frauen damals nicht als oberste Priorität galt, war die Nachfrage in den ersten Jahren sehr hoch. So befanden sich 1901 bereits 700 Schülerinnen auf dieser Schule, welche damals in der Sankt Apern Straße stand. Eine von ihnen war Hedwig, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrer Lehrerinnenausbildung befand.

Königin-Luise-Schule in der St. Apernstraße, Straßenansicht um 1900 (Schularchiv)

Hedwig hatte zunächst das siebenjährige Lyzeum abgeschlossen und setzte ihre Ausbildung dann in der sogenannten Lehrerinnenbildungsanstalt fort. Diese Ausbildung umfasste einen Zeitraum von 4 Jahren, 3 Jahre wissenschaftliches Oberlyzeum und schließlich noch die einjährige Seminarklasse, die mit der Lehrerinnenprüfung abschloss. Diese legte sie im März 1903 ab.

Entsprechend dem Rollenverständnis der damaligen Zeit arbeiteten die meisten Lehrerinnen nur einige Jahre bis zu ihrer Hochzeit in ihrem Beruf. Hedwig entschied sich jedoch gegen die Ehe und für die weitere selbstbestimmte Lebensweise mit der Möglichkeit, ihren Beruf weiter auszuüben. Man kann also daraus schließen, dass sie eine selbstbewusste und intelligente Frau war, die trotz des Todes ihres Vaters an ihrer Berufung festhielt.

Schuljahresbericht der Königin-Luise-Schule 1903/04, S. 36 (Schularchiv)

Quellen:

Schuljahresbericht der Königin-Luise-Schule 1903/04 (Schularchiv)

Jüdische Schülerinnen und Schüler an Kölner Gymnasien. Ihre Geschichte(n) zwischen Integration, Ausgrenzung und Verfolgung, Hg. D. Erkelenz/T. Kahl, Berlin 2023, S. 38ff

Leben als Lehrerin vor 1933

von Béla (Q1), Greta (Q2) und Luisa (Q2)

Hedwigs Leben vor 1933 drehte sich vor allem um ihren Job. 1903 machte sie an der Königin-Luise-Schule ihre Lehrprüfung. Ab dem 01.02.1905 war sie an der Städtischen Israelitischen Volksschule „endgültig angestellt“. 1870 entstand diese Schule aus der Zusammenlegung der Mädchen- und Jungenschule. Zunächst privat, wurde sie 1881 zu einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung. Sie befand sich ab 1922 in der Lützowstraße, wo sie sich zu einer der größten öffentlichen jüdischen Volksschulen entwickelte.

Hedwig Winter, Klassenfoto Volksschule Lützowstraße 1931/32 (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln / Sammlung Corbach N 1400,476)
Personalkarte von Hedwig Winter in der Preußischen Volksschullehrerkartei (DIPF/BBF/Archiv, GUT LEHRER 58419, Hedwig Winter)

Dort war Hedwig hauptsächlich als Klassenlehrerin tätig und unterrichtete junge Schüler*innen in verschiedensten Bereichen. Am 1. August 1926 bestand sie ihre Werklehrerprüfung; wo dies geschah, ist uns unbekannt. Was genau darunter zu verstehen ist, ist ebenfalls unbekannt. Es lässt sich aber vermuten, dass es im „Werkunterricht“ um handarbeitliche und künstlerische Fähigkeiten wie Nähen oder Sticken ging.

Wie ihr Verhältnis zu den Schüler*innen oder ihre Art zu lehren war, lässt sich heute zwar schwer beweisen, jedoch bezeichneten sie ehemalige Schüler*innen später als „Quisel“, „Quisina“, „Quiseline“ oder „alte Jungfer“. Laut Definition bezeichnet Quisel eine „frömmelnde, scheinheilige o.ä., ältliche weibliche Person“, man kann also vermuten, dass Hedwig bei ihren Schüler*innen nicht sehr beliebt war. Außerdem lässt sich schließen, dass sie für jüdisch-liberale Personen eher als strenggläubig galt. Dies lässt sich wahrscheinlich auch darauf zurückführen, dass sie nie geheiratet hat. Als Lehrerin war ihr das auch nur schwer möglich und vor allem nicht, ohne ihren Beruf zu verlieren. Das besagte der sogenannte Lehrerinnenzölibat, demzufolge Lehrerinnen unverheiratet bleiben oder, wenn sie heiraten wollten, ihren Job aufgeben mussten.

Hedwig Winter und ihre Mutter Rosa (genannt als Witwe von Sally Winter) in der Bachemerstraße 68 (Grevens Adressbuch Köln 1930)

Dass sie ihr Leben lang unverheiratet und ohne Kinder blieb, lässt sich auch an ihrer Wohnsituation festmachen. Vor dem Tod ihres Vaters lebte Hedwig mit ihrer Familie in der Benesisstr. 5, einer ,,ruhigen Wohn- und Einkaufsstraße in der Kölner Innenstadt mit bunt verputzten Häusern und kleinen Ladenlokalen“, wie eine Zeitzeugin beschreibt. Später zog sie mit ihrer Mutter in die Classen-Kappelmannstr. 20, die sich im Uni-Viertel befindet. 1920 verlegte sie ihren Wohnsitz in die Bachemerstr. 68, welche nur ein paar Blöcke von der alten Adresse entfernt war. Dort lebten beide während der nächsten 20 Jahre zusammen in derselben Wohnung.

Quellen:

Becker-Jákli, Barbara, Das jüdische Köln. Geschichte und Gegenwart, Köln 2013, S. 216ff

Grevens Adressbuch für Köln und Umgebung insbesondere auch Mülheim am Rhein und Kalk, URL: https://services.ub.uni-koeln.de/cdm4/document.php?CISOROOT=%2F_RHV&CISOPTR=97891#pagetopper

Interview mit Sarah Ballin und anderen, geführt von Dieter und Irene  Corbach am 28.02.1987 (NS-Dokumentationszentrum Köln Tk 1646)

Jüdische Schülerinnen und Schüler an Kölner Gymnasien. Ihre Geschichte(n) zwischen Integration, Ausgrenzung und Verfolgung, hg. D. Erkelenz/T. Kahl, Berlin 2023, S. 38ff

DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, BBF | Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung – Archiv: Gutachterstelle für deutsches Schul- und Studienwesen im Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung, Personalunterlagen von Lehrkräften, GUT LEHRER 58419, Hedwig Winter

Leben nach 1933
Grevens Adressbuch für Köln 1939

von Dirk Erkelenz

 

Wir wissen nicht, wie Hedwig die Zeit ab 1933 erlebt hat – die immer weiter zunehmende Diskriminierung und Entrechtung, schließlich den Gewaltexzess der Reichspogromnacht. Ebenso ist unbekannt, ob sie über eine Flucht nachgedacht hat. Für eine Frau ihres Alters und ihrer Lebenssituation, zudem noch mit einer über 70jährigen Mutter, standen die Chancen dafür sicher noch schlechter als bei allen anderen jüdischen Kölnern.

1939 ist Hedwig zum letzten Mal im Adressbuch der Stadt Köln genannt, sie erscheint hier als Lehrerin unter ihrer alten Adresse Bachemer Straße 68.

Das zeigt uns zumindest, dass Hedwig und ihre Mutter trotz aller finanziellen und rechtlichen Einschränkungen bis zu diesem Zeitpunkt ihre Wohnung noch halten konnten. Und Hedwig durfte offenbar auch noch ihrem Beruf nachgehen.

Das lag vermutlich daran, dass sie an der jüdischen Volksschule in der Lützowstraße arbeitete. An städtischen Schulen wie der KLS waren jüdische Lehrkräfte bereits 1933 vertrieben worden, jüdische Schülerinnen und Schüler dann nach der Reichspogromnacht im November 1938. An den jüdischen Schulen – der Volksschule in der Lützowstraße sowie der Volksschule „Moriah“ und dem Realgymnasium „Jawne“ in der St. Apern Straße unmittelbar neben der KLS – durfte dagegen noch weiter unterrichtet werden.

Spätestens im Juni 1942 muss Hedwig aber ihre Arbeit verloren haben, denn jetzt wurden alle jüdischen Schulen zwangsweise geschlossen. Dies stand im Zusammenhang mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung Kölns, die bereits im Oktober 1941 begonnen hatte.

Dazu nutzten die Nazis das Fort V in Köln-Müngersdorf, einen noch erhaltenen Teil des alten preußischen Festungsrings aus den 1870er Jahren. Das hier eingerichtete Lager diente dazu, die noch verbliebenen jüdischen Kölner zu sammeln und zu kontrollieren, um sie dann in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten zu deportieren.

Unter ihnen befanden sich auch Hedwig und ihre Mutter Rosa.

Quellen:

Becker-Jákli, Barbara, Das jüdische Köln. Geschichte und Gegenwart, Köln 2013, S. 216ff

Grevens Adressbuch für Köln und Umgebung insbesondere auch Mülheim am Rhein und Kalk, URL: https://services.ub.uni-koeln.de/cdm4/document.php?CISOROOT=%2F_RHV&CISOPTR=97891#pagetopper

Schlechtriemen, Kurt (Hg.), Opfer des Nationalsozialismus in Köln-Müngersdorf, Köln 2017, S. 37ff

Schicksal im Deportationslager Köln-Müngersdorf 1942
Jüdische Internierte im Deportationslager Köln-Müngersdorf, zwischen 1942 und 1944 (NS-Dokumentationszentrum)

von Arya (10c), Carla (9a) und Frida (8b)

 

In den Jahren 1941 bis 1945 befand sich in Köln-Müngersdorf ein Sammellager, also ein Ort, in dem große Teile der jüdischen Bevölkerung Kölns wie in einem Ghetto untergebracht wurden. In diesem Deportationslager lebten Menschen jüdischer Herkunft, bis sie nach Wochen oder Monaten in  Arbeits- und Konzentrationslager weitertransportiert wurden, vor allem in das KZ Theresienstadt.

Das Deportationslager befand sich in der ehemaligen Kehlkaserne, die bis 1918 als Militärgefängnis gedient hatte, und wirkte durch die Gitter und die dicken Mauern bereits von außen furchteinflößend.

In gewölbten Räumen von durchschnittlich 35 Quadratmetern lebten 10 bis 20 Menschen. Jeder durfte nur ein Bett und einen Stuhl  mitnehmen, das war alles. Weder gab es Innentüren, Holzfußböden noch zumutbare Toiletten, Heizöfen, oder Waschanlagen. Wasser tropfte von den Wänden, die Anlage wurde als extrem verwahrlost beschrieben.

Jüdische Internierte im Deportations­lager Köln-Müngersdorf, zwischen 1942 und 1944 (NS-Dokumentations­zentrum)

Die Verpflegung war völlig unzureichend. Zwar gab es eine Stelle, wo man Nahrungsmittel kaufen konnte, doch dies reichte bei Weitem nicht aus. Durch die unzureichende Ernährung bei den sowieso schon geschwächten Lagerinsassen kam es zu extremem Gewichtsverlust, zu Krankheit und auch zu zahlreichen Todesfällen.

Die Menschen fürchteten das Kommende, und nicht wenige begingen Selbstmord. Andere hofften auch, nach dem Weitertransport eine neue Bleibe zu finden. In Wirklichkeit bedeutete die Deportation in ein Konzentrationslager den sicheren Tod. Das Lager Theresienstadt nannte man auch die „Vorhölle von Ausschwitz“.

Auch Hedwig Winter wurde in das Lager Köln-Müngersdorf zwangsüberwiesen und war dort bis Juni 1942 untergebracht. Man kann vermuten, dass es auch ihr im Deportationslager schlecht ergangen ist, zumal sie fast 60 Jahre alt war. Am 16.06.1942 wurde sie zusammen mit ihrer 80jährigen Mutter Rosa Winter im Zug nach Theresienstadt deportiert.

Eintrag für Hedwig Winter im Gedenkbuch des Deutschen Bundesarchivs (https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de992000)


Quellen:

Deportationslager Köln-Müngersdorf; URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Deportationslager_K%C3%B6ln-M%C3%BCngersdorfdsxerrf

Matzerath, Horst, Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Köln 2009, S. 409ff

Schlechtriemen, Kurt (Hg.), Opfer des Nationalsozialismus in Köln-Müngersdorf, Köln 2017

Deportation nach Theresienstadt und Ermordung

Am 15.6.1942 wurde Hedwig zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Der Zug III/1 brachte beide mit fast 1000 weiteren Personen direkt von Köln nach Theresienstadt; einen Tag später, am 16.6., traf der Transport dort ein.

Hedwig Winter und ihre Mutter Rosa auf der Deportationsliste des Transports III/1 (https://www.statistik-des-holocaust.de/III1-27.jpg)
Rosa Winter, Todesfallanzeige 7.3.43, Ghetto Theresienstadt (Nationalarchiv Prag > Židovské matriky > Ohledací listy - ghetto Terezín > Band 84 )

Das KZ Theresienstadt war eine Festung in der Tschechoslowakei aus der Zeit des Königreichs Böhmen, gelegen nordwestlich von Prag, welche während der Deutschen Besetzung umgewandelt wurde.

1940 war die Festung erstmals ein Gestapo-Gefängnis. 1941 wurde dieses eine Garnisonsstadt und Sammelstelle für die jüdische Bevölkerung. 1942 machte man die kleine Festung dann endgültig zu einem Konzentrationslager. In diesem KZ wurden insgesamt 140.000 Menschen von den Nationalsozialisten eingesperrt, darunter rund 15.000 Kinder. Über 33.500 von ihnen wurden ermordet.

Das KZ Theresienstadt galt als „Vorzeigeghetto“, da viele Künstler und Schriftsteller dort interniert waren und die Häftlinge Theaterstücke, Konzerte und Lesungen halten durften. Diese kulturellen Aktivitäten wurden jedoch vom NS-Regime geplant und für Propaganda-Zwecke genutzt.

Dennoch lebten die Häftlinge, unter ihnen auch Hedwig und ihre Mutter, unter unmenschlichen Bedingungen und litten unter Hunger, Krankheit, Überfüllung und Folter durch die SS-Wachen. Zusätzlich wurde der überwiegende Teil der 140.000 Häftlinge von Theresienstadt östlich nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Gedenkblatt für Hedwig Winter in der Yad Vashem Central Database (https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=4429273&ind=2)


Am 3. Februar 1944, also nach knapp zwei Jahren in Haft, starb Hedwig Winter im Alter von 61 Jahren im Konzentrationslager Theresienstadt.

Ihre Mutter Rosa war bereits ein knappes Jahr vorher, am 7. März 1943 im Alter von 81 Jahren gestorben. Rosas „Todesfallanzeige“ nennt als Ursache „Herzmuskelentartung“ – so als sei sie eines natürlichen Todes gestorben.

Quellen:

Corbach, Dieter, 6.00 ab Messe Deutz. Deportationen 1938 – 1945, Köln 1999, S. 494

KZ Theresienstadt, wikipedia; URL: https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Theresienstadt

Helga Kinsky und das Konzentrationslager Theresienstadt; URL: Meine Geschichte: Helga Kinsky in Theresienstadt und Auschwitz | MDR.DE

Schlott, René, Holocaustüberlebende Margot Friedländer. Ein Jahrhundert Leben, in: Spiegel Geschichte vom 5.11.2021; URL: Holocaust-Überlebende Margot Friedländer: Ein Jahrhundert Leben - DER SPIEGEL

Statistik des Holocaust. Köln nach Theresienstadt 15.06.1942; URL: https://www.statistik-des-holocaust.de/III1-27.jpg

Todesfallanzeige Rosa Winter, Nationalarchiv Prag; URL: https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/96293-winter-rosa-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/

Nachfahren der Familie

von Isabel (8a) und Sophie (8a)

 

Im Jahr 1919 bekam Hedwigs Bruder Paul Richard Winter mit Elisabeth, geb. Dümmler, eine Tochter Rosemarie Winter. Paul Richard Winter zog wohl schon vor 1933 nach Den Haag in die Niederlande. Später floh er nach Großbritannien, um der Wehrmacht zu entkommen. Denn  laut eines Entlassungspapieres für ausländische Internierte in Großbritannien im 2. Weltkrieg wurde er am 27. September 1940 aus einem Internierungslager entlassen. Deutsche Juden, die vor den Nazis geflohen waren, wurden nämlich in England vor allem als Deutsche angesehen. Deshalb wurden die Männer zeitweise in Gefangenenlagern festgehalten. Offensichtlich begleiteten seine Tochter und seine Ehefrau ihn auf diesem Weg. Aus einem Wahlregister geht hervor, dass seine Tochter Rosemarie Winter von 1949 bis 1951 in London lebte. Am 3. September 1959 starb ihr Vater in Sussex, England.

 

Großbritannien, Ausländische Internierte im Zweiten Weltkrieg, Karteikarte für Paul Richard Winter (https://www.ancestry.de/discoveryui-content/view/25996:61665)

Rosemarie Winter heiratete einen Mann namens Eric Miller. Das Datum der Hochzeit von ihnen ist nicht bekannt, jedoch scheint dies erst in England stattgefunden zu haben. Durch einen Stammbaum bei Ancestry haben wir herausgefunden, dass Eric Miller zwei Söhne bekommen hat namens John und Ronald. In einer ersten Ehe bekam er einen Sohn und mit Rosemarie Miller (geb. Winter) bekam er einen zweiten Sohn. Zu beiden Kindern liegen uns leider keine Informationen zu den Geburtsdaten oder dem Alter vor.

Nach einem langen Kampf gegen Krebs starb Rosemarie im Jahr 1979 am 9. Juli. Vier Tage später wurde sie eingeäschert. Eric Miller starb am 5. Oktober 1979 (78 Jahre). Ein Jahr nach dem Tod ihrer Tochter zog Elisabeth Winter nach London, wo ihre Tochter eine Zeit lang gelebt hatte. Mit 92 Jahren starb Elisabeth 1988 in London.

Laut einem Stammbaum bei Ancestry haben wir erfahren, dass der Sohn von Rosemarie und Eric Miller mit seiner Ehepartnerin ein Kind bekommen hat, jedoch haben wir keinerlei Informationen über sie.

Stammbaum der Familie von Paul Richard Winter bei Ancestry (https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/186399085/person/112441544469/story)

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