Anna Kupperschlag (geb. Isaac)
von Carlotta Heuger und Lotte Hopfenbach
Wir sind Lotte und Carlotta, Schülerinnen des Abiturjahrgangs 2023, und haben in unserem letzten Schuljahr im Rahmen des Zusatzkurses Geschichte die Biografie von Anna Isaac erforscht.
Zu Beginn des Schuljahres hat sich unser Zusatzkurs dafür entschieden, Biografien von ehemaligen jüdischen Schülerinnen der KLS zu erforschen, und dabei wurde uns Anna Isaac zugeteilt.
Durch unseren Lehrer Herrn Erkelenz hatten wir Zugriff auf alte Schuldokumente, die belegten, dass Anna unsere Schule besuchte, sowie andere grundlegende Informationen, die für unsere weitere Recherche ausschlaggebend waren. Durch das Gedenkbuch des Bundesarchivs haben wir schnell von Annas Schicksal und dem ihres Mannes erfahren.
Danach verlief die Recherche vorerst stockender, da wir über die Eckdaten hinaus kaum etwas Neues fanden. Während einer Recherchestunde sind wir durch Zufall auf eine ehemalige Wohnadresse in Solingen gestoßen, an deren Stelle heute Stolpersteine für Anna und ihren Mann liegen. Das brachte die Suche wieder ins Rollen, da wir durch die Stolpersteine auf die Seite des Stadtarchivs Solingen geleitet wurden, wo Annas Lebensweg bereits dokumentiert war. Durch Kontaktaufnahme mit dem Stadtarchiv Solingen sind wir an weitere Informationen und Bilder gelangt, die unsere Recherche abgerundet haben.
Diese Recherche hat uns eine neue Möglichkeit gegeben, uns mit den Opfern des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, und sie hat uns dabei einen ganz anderen und besonderen Blickwinkel ermöglicht. Dadurch dass wir uns intensiv mit einem konkreten Schicksal beschäftigt haben, war der ganze Prozess emotionaler und besonders nah.
Wir sind sehr dankbar für die bereichernde Erfahrung, die wir im Laufe des Prozesses machen durften, und freuen uns besonders darüber, dass Anna demnächst auch einen Stolperstein an unserer Schule bekommen wird. Uns bedeutet es sehr viel, dass wir durch unsere Recherche ein Stück zur Aufarbeitung ihres Lebens beitragen konnten, sodass ihr Schicksal nicht in irgendwelchen Akten untergeht und stattdessen mehr Menschen von ihrer Geschichte und der ihrer Familie erfahren.
Anna Isaac wurde am 20. August 1894 als Tochter von Nathan (* 1859, † 1932) und Fanny Isaac (geb. Meyer, * 1864, † 1928) in Solingen geboren. Dort lebte sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Karl (* 1897). Die gesamte Familie war jüdischer Konfession.
Annas Vater Nathan Isaac war Kaufmann und ab 1886 Inhaber der neu eröffneten Solinger Filiale des Konfektions- und Textilwarengeschäfts Gebrüder Alsberg aus Köln. Dabei handelte es sich um die zehnte Niederlassung des großen Kölner Kaufhauskonzerns. Die Solinger Filiale befand sich zunächst am Alten Markt, ab 1890 in der Kaiserstraße 143. 1901 zog sie um in einen modernen Neubau in der Kaiserstraße 117.
Anna wuchs somit in gutbürgerlichen, wahrscheinlich sogar großbürgerlichen Verhältnissen auf, und ihre Eltern konnten und wollten ihr auch eine höhere Bildung ermöglichen, die für Mädchen in dieser Zeit nicht selbstverständlich war. Über ihre frühe Schullaufbahn wissen wir zwar nichts, sie dürfte aber die Elementarschule und das Lyzeum in Solingen besucht haben. Vermutlich nach Abschluss des Lyzeums, also im Alter von (knapp) 16 Jahren, wechselte sie aber nach Köln an die Königin-Luise-Schule (KLS). Dort besuchte sie die „Lehrerinnenbildungsanstalt“, bestehend aus dem dreijährigen Oberlyzeum mit anschließender Seminarklasse. In der näheren Umgebung gab es sicher auch andere höhere Mädchenschulen - warum genau die Wahl auf Köln und die KLS fiel, ist unbekannt. Über die Firma Alsberg bestanden sicher geschäftliche Kontakte nach Köln, darüber hinaus vielleicht auch familiäre. Vielleicht lag es auch am Charakter der KLS als einer städtischen und damit konfessionell nicht gebundenen Schule – oder auch am spezifischen Angebot der Lehrerinnenbildungsanstalt.
Von Solingen bestand eine direkte Zugverbindung nach Köln, es wäre also vielleicht umständlich, aber möglich gewesen, jeden Tag nach Köln zu fahren. Anna war aber wohl keine „Fahrschülerin“, denn sie war zwischen 1910 und 1914, also genau für den Zeitraum der Ausbildung, in Köln gemeldet. Ob sie in einem Pensionat wohnte oder angesichts ihres Alters doch eher über geschäftliche oder verwandtschaftliche Kontakte in einer Gastfamilie lebte, wissen wir nicht.
Nach dem dreijährigen Besuch des Oberlyzeums legte Anna am 5. März 1913 ihre Reifeprüfung ab und besuchte anschließend die Seminarklasse. Am 14. März 1914 schließlich bestand sie die Lehramtsprüfung und erhielt das „Zeugnis der Lehrbefähigung für Lyzeen und Mittelschulen einschließlich derjenigen für Volksschulen“; ihre Prüfungsfächer waren Deutsch und Erdkunde.
Kurz nach Annas Examen brach im August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Wie sie diese Jahre verbrachte – ob sie tatsächlich als Lehrerin arbeitete oder sich wie viele andere Frauen gerade auch aus jüdischen Familien sozial oder karitativ engagierte, vielleicht sogar als Krankenschwester tätig war – wissen wir nicht. Sollte sie die Lehrerinnenprüfung an der KLS ursprünglich mit klarer beruflicher Absicht abgelegt haben, verlief ihr Lebensweg dann aber doch anders.
In den Jahren 1919 und 1920 verbrachte sie mehrere Monate in Leipzig, ohne dass wir den Grund kennen. Anschließend kehrte sie nach Solingen zurück, wo sie im Geschäft ihres Vaters als Abteilungsleiterin arbeitete. Zur gleichen Zeit fungierte sie mehrere Jahre als Schöffin im Amtsgericht Solingen, wo sie sich durch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgezeichnet haben soll.
Am 17. Oktober 1923 heiratete sie den Kaufmann Josef Kupperschlag (* 1. März 1888 in Wuppertal-Barmen). Er arbeitete entweder bereits im Geschäft ihres Vaters oder wurde dort bald eingestellt und machte Karriere: Schon ein Jahr später wurde er von seinem Schwiegervater Nathan Isaac zum Prokuristen des Textilwarengeschäftes ernannt.
1925 brachte Anna ihre gemeinsame Tochter Ruth zur Welt. 1926 wurde ihre zweite Tochter Marion geboren. 1928 verstarb Annas Mutter Fanny, 1932 ihr Vater Nathan. Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Solingen bestattet. Nach dem Tod des Vaters übernahmen Annas Bruder Karl und ihr Ehemann Josef das Geschäft.
Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begannen schwere Zeiten, denn wie in Köln gerieten die großen Warenhäuser zuerst und besonders unter Druck. Aufgrund der Boykottmaßnahmen brach der Umsatz des Geschäfts stark ein. Nur ein Jahr später wurde ein außergerichtliches Vergleichsverfahren eingeleitet. Nach Verkauf der vorhandenen Waren musste das Geschäft 1936 aufgegeben werden. 1937 wurde das Geschäftshaus zwangsversteigert und von der Berlinischen Lebensversicherungsgesellschaft AG gekauft. 1938 schließlich wurde die Firma Alsberg endgültig aus dem Handelsregister gelöscht.
Nach der Schließung des Geschäfts war Annas Bruder Karl bereits 1936 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Brasilien geflohen, wo er 1974 in Sao Paulo starb.
Anna und Josef blieben dagegen vorerst in Solingen, Josef versuchte als Handelsvertreter die Familie zu versorgen. Bald jedoch mussten Kupperschlags zu Annas Schwiegereltern in eine kleinere Wohnung in der Klemens-Horn Straße 15 umziehen. Auch die beiden Töchter Ruth und Marion bekamen die immer schärferen Diskriminierungen zu spüren: 1938 mussten sie das Lyzeum verlassen, das sie in Solingen besuchten. Und die gesamte Familie wurde direkt Opfer der „Reichspogromnacht“ – in der Nacht vom 9. November 1938 verwüstete ein entfesselter Mob die Wohnung der Kupperschlags und zerschlug den gesamten Hausrat.
Unter dem Eindruck dieses Gewaltexzesses schickten Anna und Josef ihre beiden Töchter im Februar 1939 in die Niederlande, wo sie zunächst in einem Flüchtlingsheim untergebracht waren. Als dieses mit dem Ausbruch des Krieges schloss, fanden Ruth und Marion bei einer Familie in Amsterdam Zuflucht, wo sie bis 1941 noch die Gewerbeschule besuchen konnten. Der Besuch anderer Schulen war ihnen bereits verwehrt.
Josef und Anna wurden Anfang 1939, kurz nach der Flucht ihrer Töchter, dazu bestimmt, das jüdische Altersheim in Wuppertal zu leiten, da Anna angeblich eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert hatte (vielleicht während des 1. Weltkrieges). Sie mussten daher zwangsweise nach Elberfeld umziehen.
Am 21. Juli 1942 wurden die beiden zusammen mit den Bewohnern des Altersheims von Düsseldorf aus nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später, am 16. Oktober 1944, wurde das Ehepaar nach Auschwitz gebracht und dort ermordet.
Auch ihren Töchtern Ruth und Marion stand noch ein langer Leidensweg bevor. Nach der Eroberung der Niederlande durch deutsche Truppen waren sie wieder allen diskriminierenden antisemitischen Maßnahmen ausgesetzt. So mussten sie beispielsweise ab 1942 auch in den Niederlanden den Judenstern tragen. Sie wurden am 20. April 1943 bei einer Razzia aufgegriffen und in das Durchgangslager Vught, Teil des KZ Herzogenbusch, gebracht.
Von dort deportierte man auch sie am 3. Juni 1944 nach Auschwitz. Anders als ihre Eltern überlebten die Schwestern das Vernichtungslager. Sie blieben nicht dort, sondern wurden zunächst, vermutlich aufgrund ihres jugendlichen Alters, in verschiedene Zwangsarbeitslager in Deutschland und der Tschechoslowakei verschleppt. Kurz vor Kriegsende schließlich wurden sie vom Schwedischen Roten Kreuz befreit und in ein schwedisches Auffanglager gebracht.
Im November 1945 kehrten Ruth und Marion in die Niederlande zurück und wurden dort 1953 eingebürgert. Ruth Kupperschlag wanderte später in die USA aus, wo sie 20 Jahre lang bei „Intelsat“ in Washington D.C. arbeitete. Am 22. August 2019 starb sie im Alter von 94 Jahren.
Zum Gedenken an Anna und Josef Kupperschlag wurden am 20. Dezember 2007 Stolpersteine in Solingen verlegt, vor der letzten frei gewählten Wohnung, dem Haus Klemens-Horn-Straße 15.
Am 19. Oktober 2023 werden wir einen Stolperstein vor der Königin-Luise-Schule verlegen lassen, zum Gedenken an unsere ehemalige Mitschülerin Anna Kupperschlag (geb. Isaac). An sie und ihre Familie werden wir überdies im Gedenkbuch auf der Homepage der Schule erinnern.
Quellen:
Dreyling-Riesop, Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege": Anna Kupperschlag, geb. Isaac (https://hriesop.beepworld.de/ku.htm)
Erkelenz/T. Kahl (Hrsg.), Jüdische Schülerinnen und Schüler an Kölner Gymnasien, Berlin 2023, S. 40f.
RUTH KUPPERSCHLAG Obituary, in: The Washington Post on Nov. 5, 2019 (https://www.legacy.com/us/obituaries/washingtonpost/name/ruth-kupperschlag-obituary?id=1866276)
Armin Schulte, Man soll mich nicht vergessen. Stolpersteine in Solingen – Schicksale 1933-1945, hg. Stadtarchiv Solingen 2020, S. 161-163
Kurzbiographie von Talitha Christoph (9a): https://stolpersteine.wdr.de/web/de/stolperstein/19836