Thea van Ameringen (geb. Juliard)

von Inola Josten

Kindheit und Schulzeit

Thea Juliard wurde als Tochter von David Juliard, einem Kaufmann, und Rebecca Heimann, einer Handelskorrespondentin, am 20.4.1909 in Köln geboren. Dort wuchs sie zusammen mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Johanna (* 12.05.1906 in Köln) auf. Die Familie gehörte zur Mittelschicht und konnte sich deshalb eine Wohnung in der Innenstadt leisten. Diese befand sich in der Dasselstraße 47 und somit in der Nähe der Königin-Luise-Schule, welche die Tochter Thea Juliard besuchte. Ihr Schulweg betrug angenehme 18 Minuten zu Fuß. Ab welchem Zeitpunkt Thea die KLS besuchte, ist unbekannt. Sie könnte bereits mit 10 Jahren, also zu Ostern 1919, von der Grundschule auf die KLS gewechselt sein. Vielleicht hatte sie aber zunächst eine andere weiterführende Schule besucht und war erst später, zum Beispiel nach der Untersekunda (10. Klasse), auf die KLS gekommen, da sich hier spezielle und ganz neue Möglichkeiten für die von ihr angestrebte Berufsausbildung boten.

Dasselstr. 54
Dasselstr. 54
(Ähnlich müsste auch Hausnummer 47 ausgesehen haben)

Die Religion ihrer Eltern war israelitisch und auch Thea war jüdisch getauft, wodurch sie in den folgenden Jahren von den Nationalsozialisten als „Volljüdin“ eingestuft wurde und somit später allen von diesem Regime verhängten Einschränkungen unterlag. Ihre Eltern waren aber vermutlich keine streng orthodoxen Juden, denn sonst hätten sie ihre Tochter wohl eher auf die benachbarte Schule Jawne geschickt und nicht auf die liberale KLS.

Nach Aussage des Schuljahresberichts der KLS zum Schuljahr 1927/28 hat Thea Ostern 1928, also mit knapp 19 Jahren, die Befähigung zur Kindergärtnerin erreicht. Eine Ausbildung zur Kindergärtnerin dauerte an der KLS zwei Jahre, zunächst ein Jahr Frauenschule, dann ein Jahr Kindergärtnerinnenlehrgang. Das heißt, dass sie vermutlich kein Abitur machte, sondern angesichts ihres Alters eher nach der 10. Klasse direkt mit ihrer Ausbildung begann. Für ihre Zeit war sie dennoch ein fortschrittliches Mädchen bzw. hatte auch fortschrittliche Eltern. Thea sollte offensichtlich nicht nur (irgendwann) heiraten, sondern selbst einen Beruf ergreifen können – das war in dieser Zeit nicht selbstverständlich.

Es wäre zu vermuten, dass auch ihre Schwester Johanna Schülerin der KLS war. Dass alle Kinder die gleiche Schule besuchten, war damals und ist ja auch heute noch durchaus verbreitet. Zudem gab es dafür auch finanzielle Gründe, denn für Geschwisterkinder gab es Ermäßigungen beim nicht unbeträchtlichen Schulgeld. Leider fehlen uns für sie aber entsprechende Nachrichten.

Herkunft der Eltern

Ihre Mutter stammte ursprünglich aus Russland. Sie wurde am 28. Dezember 1874 in Moskau geboren, sie hieß Wera Rebecca Heimann. Ihr Vater kam aus Gravenhage in den Niederlanden. Er wuchs zusammen mit sieben Geschwistern auf. Als er nach Köln kam, blieb der Rest seiner Familie jedoch in den Niederlanden. Dies muss ein großer Schritt für ihn gewesen sein. ‎Wera Heimann und David Juliard heirateten am 15.6.1902 in Köln.

Umzug in die Niederlande

Den genauen Weg von Thea Juliard zu verfolgen ist schwer. Es liegen Akten vor, die zeigen, dass sie zwischen 1916 und 1930 nach Antwerpen in Belgien ausgewandert ist. Da sie jedoch erst 1928 ihre Befähigung zur Kindergärtnerin erreichte, kann man den Zeitraum ihrer Auswanderung auf 1928-1930 eingrenzen. Schließlich zog Thea Juliard jedoch in die Niederlande. Vermutlich lernte sie dort im Laufe der Zeit auch ihre große Familie besser kennen.

Ihre zehn für uns bekannten Cousinen und Cousins väterlicherseits lebten dort, und sie machte besonders Bekanntschaft mit ihrer Cousine Jeanne Juliard, der Tochter ihres Onkels Samuel Juliard und dessen Frau Elizabeth den Daas.

Jeanne Juliard wurde am 9. Februar 1908 geboren und heiratete Arie Anton van Ameringen am 31. Mai 1928 in Rotterdam. Sie bekamen einen Sohn. Jedoch verstarb sie selbst kurz nach der Geburt am 1. Juli 1932 in Rotterdam mit nur 24 Jahren. Dies muss die gesamte Familie in tiefe Trauer gestürzt haben. Besonders die Mutter Elizabeth den Daas litt extrem unter dem Verlust. Ihre einzige Tochter verstarb, nachdem 15 Jahre zuvor ihr Mann Samuel Juliard gestorben war.

Früher Tod von Cousins und Cousinen

Die Familie hatte auch schon zuvor einige Schicksalsschläge erlitten. Schon 1914 bekamen Thea Juliards Onkel Emanuel Juliard und seine Frau Elise Blitz ein Kind, welches noch nicht einmal einen Namen erhielt, da es sofort verstarb. Im selben Jahr verstarb auch Hijman Verveer, der Sohn von Helena Juliard und Elie Eleazar Verveer im Alter von nur einem Jahr. Schon ein halbes Jahr zuvor verloren sie ihren ältesten Sohn von insgesamt vier Kindern, Lion Verveer, mit nur 10 Jahren. Diese schrecklichen Schicksalsschläge brachten immer wieder große Trauer über die gesamte Familie.

Heirat im Jahr 1933

Thea Juliard muss schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ausgewandert sein, weshalb es andere Gründe für die Ausreise als die Verfolgung durch die Nationalsozialisten gegeben haben muss: bessere Aussichten auf eine Anstellung, Familienangehörige oder die Heirat am Mittwoch, den 8. Februar 1933 in Hillegersberg. Dort heiratete sie den Ehemann ihrer verstorbenen Cousine Jeanne Juliard, also Arie Anton van Ameringen. Dieser war am 11. August 1904 in Rotterdam geboren worden und war bei ihrer Hochzeit 29 Jahre alt. Er war Prokurist und Direktor einer NV ("Naamloze Vennootschap"), also einer Aktiengesellschaft (GmbH). Sicherlich verdiente er gut und konnte ihnen dadurch wahrscheinlich ein angenehmes Leben ermöglichen.

Die Zeit des Nationalsozialismus

Durch die Ausreise nach Holland blieb Thea Juliard zunächst von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten verschont, die sich in Deutschland in immer stärkerer Form gegen die Juden richtete. Sie wird aber sicher die Entwicklung mit wachsender Sorge betrachtet haben, zumal die in Deutschland verbliebene Familie, also ihre Eltern und ihre Schwester, unmittelbar betroffen waren. Schließlich sind aber auch ihre Eltern und vermutlich auch ihre Schwester in die Niederlande gezogen. Thea Juliards Vater starb bereits am 2.10.1939 mit nur 64 Jahren in Rotterdam. Aus welchem Grund er starb, ist nicht bekannt, ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Judenverfolgung durch die Nazis scheint aber nicht erkennbar, da sein Tod noch vor Beginn der deutschen Besatzung erfolgte.

Dann aber kam der Ausbruch des 2.Weltkrieges bzw. der Beginn der Kämpfe in Westeuropa. Mit der Eroberung der Niederlande im Frühjahr 1940 gerieten die niederländischen bzw. die in die Niederlande ausgewanderten Juden wieder in den Machtbereich der Nazis.

Schicksal von Verwandten

Fünf Jahre später, am 28. Januar 1944, deportierten die Nationalsozialisten Thea Juliards Mutter und ihre Schwester nach Auschwitz. Hier gibt es den ersten deutlichen Hinweis, dass wir über Thea nichts mehr wissen. Ob eine Deportation auch für Thea galt, ist unbekannt, nach ihrer Hochzeit fehlen weitere Hinweise. Angehörige ihrer engeren Familie waren aber betroffen, mit allen schrecklichen Konsequenzen. Sie wurden auf grausamste Art umgebracht. Für uns ist diese Situation unvorstellbar. Man muss sich eine lange und menschenunwürdige Zugfahrt vorstellen. Falls man davon eine Vorstellung haben kann, dann war diese Situation noch um einiges schlimmer. Und dann kamen die Menschen im Konzentrationslager an und die schlimmste Qual begann erst noch.

Falls Thea noch lebte, muss all dies eine unbeschreibliche Trauer über sie gebracht haben. Zudem wurden wahrscheinlich auch Freundinnen aus ihrer Jugend umgebracht, sodass die meisten Menschen, mit denen sie aufwuchs, nicht mehr lebten.

Auch ein Cousin, Bernard Juliard, wurde nach Auschwitz deportiert. Zwei Onkel von ihr (Maurits Juliard und Emanuel Juliard) und ihre angeheirateten Tanten (Judith Brandel und Elsie Blitz) wurden 1943 nach Sobibor deportiert und ermordet. Das Schicksal vieler anderer Familienmitglieder ist nicht bekannt.

Spuren von Thea Juliards gleichnamiger Cousine Thea Juliard sind zu finden. Sie wanderte nach Brasilien aus.

Ein Hoffnungsschimmer oder doch ein Erfolg der Nationalsozialisten

Thea Juliards Spur selbst ist verlaufen. Das ist sehr schade, da kaum Informationen über sie zu finden sind, um sich in Würde an sie zu erinnern. Jedoch könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass sie nicht durch die Nationalsozialisten umgekommen ist, da sie sonst vermutlich zusammen mit ihren Familienmitgliedern auf sämtlichen Gedenkseiten aufgelistet wäre. Andererseits kann dies auch genau das Gegenteil bedeuten. Man muss bedenken, dass sie danach keine einzige Spur mehr hinterlassen hat, was wiederum darauf hindeutet, dass sie es möglicherweise gar nicht mehr konnte. Die Nationalsozialisten waren somit verantwortlich, dass Theas Geschichte nach ihrer Hochzeit nicht bekannt ist. Jedoch können wir uns an ihr Leben davor erinnern und sie somit nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Nachtrag

Nach Abschluss dieser Arbeit habe ich Kontakt zu Thea Juliards Stiefsohn erhalten, dem Sohn ihres Mannes Arie Anton van Ameringen aus erster Ehe mit ihrer Cousine Jeanne Juliard. Er berichtete, Thea und Arie van Ameringen seien entkommen und in die USA ausgewandert. Dies ist aber wahrscheinlich nicht ganz korrekt, denn inzwischen hat sich auch eine Einreisebescheinigung für Thea van Ameringen, wohl für eine Urlaubsreise nach Puerto Rico gefunden. Darauf wird ihre Staatsangehörigkeit mit "Canadian" angegeben, ihr Wohnort mit "Ontario".

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist allerdings unbekannt, ob Thea vor, während oder nach dem Krieg ausgewandert ist. Damit lässt sich zur Zeit nicht entscheiden, ob sie selbst unmittelbar Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung unter deutscher Besatzung wurde. Deshalb können wir im Moment noch keinen Stolperstein vor dem Schuleingang für sie verlegen lassen.

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