Stephanie Levi (geb. Strauss)

von Tobias Alperstedt

Der Projektkurs der Königin-Luise-Schule hat das Ziel, dass die ehemaligen jüdischen Mitschülerinnen, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Köln gelebt haben, nicht in Vergessenheit geraten. Meine Aufgabe lautete, das Schicksal der Schülerin Stephanie Strauss zu veranschaulichen. Am Anfang standen mir nur wenige Informationen zur Verfügung und somit lag der Schwerpunkt der Arbeit bei der Recherche. Dazu benutzte ich im Internet die Seite Ancestry.de, dort fand ich zwei Dokumente über Stephanies Flucht in die USA. Die erste Quelle ist eine Passagierliste von einer Überfahrt der S.S. Washington von Le Havre in Frankreich nach New York City. Die zweite Quelle ist der “Sixteenth census of the United States: 1940”. Aus weiteren Quellen dieser Internetseite geht hervor, dass Stephanies Eltern ebenfalls eine Flucht in die USA planten, jedoch blieb die Flucht erfolglos und endete tragisch.
Durch die historischen Adressbücher Kölns lässt sich nachvollziehen, dass die Familie Strauss mehrmals umgezogen ist und eine Firma besaß. Vom NS-Dokumentationszentrum erhielt ich eine Kopie der Geburtsurkunde und eines Fragebogens über Stephanie Strauss, wahrscheinlich ausgefüllt von ihrem Bruder Karl Heinz. Zudem bekam ich einen Hinweis über das Archiwum Państwowew Łodzi, das Staatsarchiv von Łódź, dort hat man Zugang zu den Briefen aus dem Ghetto. Einige dieser Briefe sind von Stephanies Eltern, doch keiner erreichte je den Empfänger. Mit den wenigen Daten, mit denen ich begonnen hatte, fanden sich tatsächlich auf unterschiedlichen Wegen viele Quellen, die mir halfen, ihr Leben grob zu rekonstruieren.

Stephanie Strauss wurde am 1. Januar 1903 in Köln als Tochter des Kaufmanns Maier Strauss, genannt Max, und Wally Strauss, geborene Wiesengrund, mit jüdischer Konfession geboren. Der Vater kam am 10. Februar 1875 in Mainstockheim zur Welt, Wally Strauss wurde am 18. Februar 1880 in Dettelbach geboren. Die Nachbarorte liegen im Landkreis Kitzingen im Norden Bayerns. Daraus lässt sich schließen, dass beide sich dort kennenlernten und gemeinsam nach Köln in die Dasselstraße 35 zogen.
1903 ist Maier Strauss Teilhaber der Firma “Gebrüder Schäler”, zusammen mit Isaac Schäler. Zwischen 1906 und 1915 übernahm Maier Strauss die Firma und benannte sie um in Schäler & Cie. Diese war als Großhandel für chemisch-technische Erzeugnisse von Öl und Fett im Adressbuch eingetragen und befand sich in der Frankstraße 22. Stephanie besuchte die Königin-Luise-Schule und laut ihren Angaben in dem 16. United States Census war ihr höchster Bildungsgrad ein “4y-highschool”-Abschluss. Diese Qualifikation entsprach in Deutschland dem Abitur. Eine höhere Bildung, insbesondere für Mädchen, war nur den reichen Familien vorbehalten, daraus lässt sich schließen, dass die Familie wohlhabend gewesen sein muss.
Wie Stephanies Schullaufbahn genau verlief, lässt sich zwar nicht mit letzter Sicherheit in allen Details, aber doch in den wesentlichen Zügen rekonstruieren. Sie selbst gab gegenüber dem NS-Dokumentationszentrum folgende Schritte an: Höh.(ere) priv.(ate) Sch.(ule) Lindenstr.(aße), Frauensch.(ule), Königin Luise Sch.(ule). Gehen wir davon aus, dass sie im üblichen Alter, also mit 6 Jahren, eingeschult wurde, dann wechselte sie wohl Ostern 1913 von der Grundschule auf das evangelische Privatlyzeum Teschner in der Lindenstraße. Da es sich um ein Lyzeum handelte, endete die Schullaufbahn hier mit der Untersekunda (10. Klasse). Anschließend dürfte Stephanie auf die KLS übergewechselt sein, um hier die Oberstufe zu besuchen - allerdings nicht in der "echten" Oberstufe mit dem Weg zum vollen Abitur (sprachliche Form), sondern in der Frauenschule (hauswirtschaftliche Form). Je nach Art der Lehrgänge konnte dieser Besuch ein bis drei Jahre umfassen. Sie könnte also zwischen Ostern 1920 und Ostern 1922 ihre Reifeprüfung in der Frauenschule abgelegt haben.
Am 31. Januar 1918 wurde Stephanies Bruder Karl Heinz Strauss geboren. Seinen Abschluss absolvierte er am Friedrich Wilhelm Gymnasium. Im Jahr 1925 wurde Wally Strauss als Prokuristin der Firma genannt, in den folgenden Jahren jedoch nicht mehr. 1929 heiratete Stephanie den Kaufmann Julius Levi, geboren 1895. Julius wurde im folgenden Jahr mit Maier Strauss zusammen als Inhaber der Firma aufgeführt. Gemeinsam mit den Eltern wohnten sie in der Vorgebirgstraße 35.

 

Vorgebirgsstraße 35
Vorgebirgsstraße 35


Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 klassifizierten Stephanie als “Volljüdin”, da beide Eltern der jüdischen Religion angehörten. Durch diese Gesetze wurden Juden in die Kategorien “Voljuden”, “Mischling 1. Grades” und “Mischling 2. Grades” eingeteilt, je nach Kategorie waren die Folgen unterschiedlich schwerwiegend. Stephanie und ihre Familie mussten fortan als Menschen zweiter Klasse leben. Im Jahr 1937 bekamen Stephanie und Julius ihren Sohn Harry Levi, der laut der Passagierliste von 1939 braune Augen und blondes Haar hatte.

Stephanies Bruder Karl Heinz Strauss, von Beruf Mechaniker, floh mit 20 Jahren als Erster mit der "S.S. Nieuw-Amsterdam" von Rotterdam in die USA. Nach einer sechstägigen Überfahrt landete er am 12. August 1938 in New York City.

Wegen des „Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ vom 17. August 1938 mussten alle weiblichen Juden den Vornamen “Sara” führen und alle männlichen den Namen “Israel”. In Stephanies Geburtsurkunde wurde der Name “Sara” am 7. März 1939 als Randvermerk eingetragen.

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es zu massiven Attacken gegenüber jüdischen Einrichtungen, Geschäften und Synagogen. Die Ausschreitungen hinterließen auch für die Familie Konsequenzen für ihr zukünftiges Leben.

Am 12. November 1938 musste Maier Strauss wegen der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ die Firma und das Grundstück in der Frankstraße 22 vermutlich verkaufen, da das Gesetz “Juden [den] Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie den selbständigen Betrieb eines Handwerks untersagt[e]”.
Die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 03. Dezember 1938 verbot Juden den Besitz und Erwerb von Grundeigentum. Somit verlor die Familie ihre gemeinsame Lebensgrundlage.

Daraufhin floh Stephanies Ehemann, Julius Levi, 12 Tage nach Erhalt des Emigrationsvisums, am 14. Dezember 1938 mit der S.S. Statendam von Rotterdam nach New York City.

Da am 30. April 1939 das “Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden” erlassen wurde, welches den Kündigungsschutz für Juden aufhob, wurden Stephanie, ihr Sohn und ihre Eltern gezwungen, in die Eifelstraße 27 zu ziehen. Vor diesem Haus liegen heute auch die Stolpersteine für Wally und Maier Strauss.

Stolpersteine Wally und Maier Strauss


Stephanie entschloss sich, mit ihrem Sohn 1939 aus Deutschland zu fliehen. Sie fuhr mit der S.S. Washington am 11. September 1939 von Le Havre nach New York City. Als Angabe über ihren neuen Aufenthaltsort nannte sie die Adresse 700 W. 180th St. New York, wo Julius lebte. Anhand der Passagierliste erfährt man, dass Stephanie zu dem Zeitpunkt etwa 1,60 m groß war, dunkles Haar und braune Augen hatte. Zudem geht daraus hervor, dass Stephanie nur 30 Dollar Bargeld besaß. In dem Fragebogen des NS-Dokumentationszentrums hingegen ist die Adresse 525 Audubon Avenue angegeben, wahrscheinlich die Adresse, unter der die Familie später lebte. Zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt hat sie einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, nach einem Eintrag im US-Sozialversicherungsindex ist sie wohl am 24. September 1997 in New York gestorben. Über Stephanies weiteres Leben in den USA ist ansonsten nichts Genaues bekannt. Da die Familie ihre gesamte Existenzgrundlage verlor und sie keine Heimat mehr hatte, kann man nur vermuten, wie schwierig ein Neubeginn war. Das Einzige, was man mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie den Holocaust überlebte.

Stephanies Eltern versuchten ebenfalls in die USA zu fliehen, deshalb zahlte Karl Heinz Strauss am 27. Mai 1941 84 $ an das Jewish Transmigration Bureau, das Juden die Überfahrt aus Deutschland ermöglichte. Doch Wally und Maier gelang die Flucht nicht und sie wurden am 22. Oktober 1941 im “Transport 8”, dem ersten Deportationszug aus Köln, in das Ghetto Litzmannstadt in Polen deportiert. Dort wohnten sie in der Mühlgasse 82. Das Ghetto Litzmannstadt war das zweitgrößte Ghetto mit ungefähr 160.000 Bewohnern. Die Menschen mussten unter unmenschlichen Bedingungen auf engstem Raum leben und leisteten Zwangsarbeit. Viele Bewohner starben an Unterernährung, durch Krankheiten oder Erfrieren.
Wally Strauss verfasste sieben Wochen nach ihrer Ankunft im Ghetto den folgenden Brief:

Empfänger: Johanna Herz, Wiesbaden, Walluferstr. 13 II
Absender: M. Strauß, früher Köln, Mühlgasse 82
Datum: 9.12.41

Nachricht: Liebe Frau Herz. Zu den Ersten den (sic!) ich schreibe, gehören sie lb. Frau Herz. Haben Sie das Paket von Köln nicht erhalten? Wie geht es Ihnen & Ihrer lb. Schwester. Schreiben Sie uns recht bald, wir freuen uns mit jeder Nachricht. Wir sind jetzt schon 7 Wochen hier & fangen an uns allmählich einzugewöhnen. Wir sind gesund & hoffen es mit Gottes Hilfe zu bleiben. Haben Sie von Hertha & Michael Nachricht gehabt, bitte grüßen Sie auch Steffi & Karl Herny (?), ich haben (sic!) ihnen noch nicht geschrieben. Wenn Sie Steffi sehen, dann sagen Sie bitte, das Bild von Harry wurde uns nach gesandt (sic!), es ist sehr schön. Haben Sie auch schon Winter, heute schneit es, aber die Kälte hat dadurch nach gelassen (sic!). Grüßen Sie bitte Ihre lb. Schwester & seien Sie herzl. gegrüßt von Ihrer Wally Sara Strauß
Liebe Frau Herz! Bitte schreiben Sie Karten mit Antwort. Schreiben Sie die Adresse genau wie oben. Leben Sie wohl empfangen Sie die besten Grüße von Ihrem M. Strauß

Wally schreibt, dass sie und ihr Mann sich langsam einleben würden und dass sie hoffen, gesund zu bleiben. Ob dies der Wirklichkeit entspricht, ist fraglich, da der Briefverkehr wahrscheinlich zensiert wurde.
Bereits drei Wochen später aber, am 31. Dezember 1941, starb Wally Strauss. Eine genaue Todesursache ist nicht bekannt, zuvor scheint sie aber im "Greisenheim" des Ghettos untergebracht gewesen zu sein. Maier Strauss lebte noch vier Monate im Ghetto, bis er im April 1942 in das Vernichtungslager Chelmno deportiert und dort wohl am Tag der Ankunft ermordet wurde; sein Todestag ist vermutlich der 25. April 1942.

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