Sophie Marx
von Hanna Peter
Ich weiß nicht genau, warum ich diesen Namen einer jüdischen Schülerin und somit dieses Schicksal für mich ausgesucht habe, um es zu erforschen. Ein Teil war vermutlich die Hoffnung, lebende Angehörige zu finden, mit denen ich in Kontakt treten könnte, die mir vielleicht etwas mehr über ihr Leben erzählen würden. Diese Option war sogar recht wahrscheinlich, da Sophie Marx eine Überlebende des NS-Regimes war.
Ausgangspunkt für meine Recherchen war ein Eintrag zu Sophie Marx in der Datenbank des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln; er beruhte - wie ich später herausfand - auf zwei Fragebögen, die Sophie Marx wohl selbst vor dem Jahr 1993 ausgefüllt hat. In diesen Informationen war gegeben, dass Sophie Marx am 26.02.1905 geboren wurde.
Ihre Eltern Selma Wihl und David Marx heirateten 1904 in Krefeld. Sophie gab in den Fragebögen an, dass sie in Köln geboren wurde, die Familie taucht aber erst im historischen Adressbuch von 1911 auf. Wann die Familie genau nach Köln gezogen ist, weiß ich aufgrund dieses Widerspruchs leider nicht, es muss aber in dem Zeitraum zwischen 1905 und 1911 gewesen sein.
Ich schaute mir also als erstes die Adressen der Familie Marx über die Jahre an und stellte fest, dass die Familie während ihrer Zeit in Köln immer in der gleichen Wohnung gelebt hat, in der zweiten Etage in der Ehrenstraße 44.
Neben der Wohnung ist mit der ersten Nennung der Familie 1911 aber auch ein Geschäft in der Ehrenstraße 1-3 verzeichnet. Die Herren-Modewarenhandlung „D. Marx“ hielt sich bis 1927 und im Jahr 1911 oder 1912 kam sogar noch eine Filiale am Eigelstein 82 dazu, die im Jahre 1918 oder 1919 vergrößert wurde und sich dann über Eigelstein 80-82 erstreckte. Es lässt sich vermuten, dass die Familie aufgrund des Geschäfts des Vaters nach Köln zog.
Sophie besuchte nach eigenen Angaben durchgehend oder zumindest einen großen Teil der Zeit die Königin-Luise-Schule in der St. Apernstraße, mit dem Zusatz "Frauenschule". Die KLS umfasste zu der Zeit die Elementarschule, die weiterführende höhere Schule (Lyzeum für die Klassen 5-10) sowie eine zweigeteilte Oberstufe mit Oberlyzeum (Klassen 11-13) und Frauenschule. Sophie startete also 1911 mit vier Jahren Elementarschule auf der KLS, besuchte dann von 1915 bis 1921 das Lyzeum und schloss ihre Schullaufbahn 1922 nach einem Jahr Frauenschule ab. Für ein Abitur musste man damals vier Jahre die Elementarschule, sechs Jahre das Lyzeum und drei Jahre die Frauenschule besuchen. Da Sophie aber nur ein Jahr der Frauenschule gemacht hat, hat sie das Abitur nicht erhalten, sondern einen Abschluss, der dem heutigen Realschulabschluss entspricht.
Die Tatsachen, dass sie als Mädchen in dieser Zeit die höhere Schule besuchen und mit ihren Eltern in der Ehrenstraße wohnen konnte, sowie dass ihr Vater zwei Geschäfte besaß, lassen darauf schließen, dass die Familie gut situiert war.
Nach Abschluss der Schule arbeitete sie als Sekretärin, wobei ich keine Antwort darauf habe, wo oder warum sie mit einem Abschluss an einem Gymnasium „nur“ als Sekretärin arbeitete. Die einzige Antwort, die mir einfällt, ist, dass sie kein Abitur hatte und dadurch nicht für einen höheren Beruf qualifiziert war.
Im Adressbuch des Jahres 1928 ist dann kein Hinweis auf die Geschäfte mehr zu finden, ob das allerdings am Alter Davids lag - geboren am 04.06.1867 war er in dem Jahr 61 geworden - oder an anderen wirtschaftlichen oder familiären Gründen, ist mir unklar geblieben. Nach dem Tode Davids am 30.05.1933, angezeigt von Sophia Meyer, über die ich leider nichts herausfinden konnte, lebte mindestens die Mutter noch drei weitere Jahre in derselben Wohnung. Da es unter dem Namen Sophie Marx aber keinen Eintrag in den Adressbüchern gab und sie Zeit ihres Lebens weder den Namen änderte noch heiratete, gehe ich davon aus, dass sie weiterhin bei ihrer Mutter wohnte und diese im Haushalt und finanziell unterstützte. Doch im Jahr 1937 lebte Selma, und vermutlich auch Sophie, in der Brüsselerstraße 67, diese ist als letzter Wohnort in der Sterbeurkunde zu ihrem Tod am 08.02.1937 eingetragen. Geboren am 25.06.1867 verstarb sie im Alter von 69 Jahren. Die Todesursache ist mir bei beiden Elternteilen nicht bekannt.
Die nächsten Informationen über Sophie, die ich von den Fragebögen des NS-Dokumentationszentrum habe, besagen, dass sie 1939 nach England emigrierte und dort als Hausangestellte arbeitete. Aufgrund der veränderten Reichsfluchtsteuer von 1934 hatte sie bei ihrer Ausreise wahrscheinlich fast kein Geld mehr.
Doch danach fand ich bis 1953 keine weiteren Informationen über ihr Leben.
Am 13.04.1953 stellte Sophie einen Antrag auf Einbürgerung in die USA bei einem Gericht in New York City. Aufgrund dieser Tatsache kann ich sagen, dass sie spätestens 1948 in Amerika ankam und dort lebte, da sie schon mindestens fünf Jahre in den USA gewohnt haben muss, um dort einen Antrag auf Einbürgerung stellen zu können. Als sie den Antrag stellte, wohnte sie am Broadway Nummer 2345, das war aber nicht ihre einzige Adresse in den USA. Sophie blieb zwar immer in New York City, wechselte aber die Stadtteile und zog mindestens dreimal um. So lebte sie, als sie den Antrag stellte, auf der Upper Westside, gab als Anschrift für Rückfragen zu ihrem Fragebogen das Apartment 18c des Gebäudekomplexes 137-47 in der 45th Avenue in Flushing an und ist in der Einwohnerliste New Yorks zusätzlich in der Hausnummer 16411 des Chapin Parkway in Jamaica, das zu Queens gehört, gemeldet. In welcher Reihenfolge sie an diesen Orten wohnte, konnte ich nicht herausfinden.
Sicher ist jedoch, dass Sophie am 08.09.1998 im Alter von 93 Jahren gestorben ist, aber im Sterberegister der Sozialversicherung, welche sie am 07.02.1968 in Anspruch nahm, als sie sich von einer unbekannten Arbeitsstelle zur Ruhe setzte, ist als letzte Adresse nur die Postleitzahl 10107 in New York City angegeben, die sich als 250 West 57th Street herausstellte.
Nach den Unterlagen, die dem NS-Dokumentationszentrum vorliegen – insbesondere einem Fragebogen zur Person, soll Sophie Marx am 26.02.1905 in Köln geboren sein. Im Zuge der Recherchen zu der vorliegenden Arbeit hatte man von Seiten des NS-Dok auch ihre Geburtsurkunde beim Historischen Archiv der Stadt Köln angefordert. Wie nun jedoch mitgeteilt wurde, konnte dort kein Eintrag zu einer Person dieses Namens und Geburtsdatums im Geburtenverzeichnis gefunden werden.
Inzwischen ist aber ein neues Dokument bei ancestry verfügbar, und zwar eine Karteikarte der britischen Internierungsbehörde für Sophie Marx, * 26.02.1905. Hier ist Düsseldorf als ihr Geburtsort genannt. So könnte sich auch erklären, warum Familie Marx erst ab 1911 mit Wohnung und Geschäft in den historischen Adressbüchern der Stadt Köln erscheint, also im selben Jahr, in dem auch nach Aussage des Fragebogens Sophies Einschulung an der KLS erfolgte. Vermutlich war die Familie erst kurz zuvor von Düsseldorf nach Köln gezogen.
Aus der neuen Quelle ergibt sich, dass Sophie nach Entscheidung der Behörde – obwohl „Female Enemy Alien“ - nicht interniert zu werden brauchte. Für uns scheint das selbstverständlich bei einer jüdischen Frau, die vor dem NS-Terror geflohen war. Allerdings blieb manchem anderen, auch manchem Jugendlichen dieses Schicksal nicht erspart, denn im Ausland sah man in deutschen Juden eben auch oft Deutsche – und damit zunächst einmal Feinde.
Wohnhaft war sie zu dieser Zeit in der Straße Westbourne Terrace Nr. 176, Paddington, London. Ihr Beruf wird mit book keeper, also eigentlich „Buchhalterin“, angegeben.
Ausgestellt wurde die Karte bzw. die Entscheidung der Behörde am 5. Dezember 1939. Einen Rückschluss darauf, wann genau sie nach England geflohen war, kann man dieser Quelle aber wohl nicht entnehmen. Nach Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 gab es wohl keine Möglichkeit einer direkten Flucht nach England mehr, aber auch erst ab diesem Zeitpunkt dürfte sich die Frage einer Internierung gestellt haben. Sophie kann also auch einige Monate früher angekommen sein.
Ez