Ellen Süskind (verh. Rosenbaum)
von Carolin Huschbeck und Luisa Tintner
Im Rahmen des Projektkurses Geschichte 2019/20 haben wir uns mit dem Schicksal der ehemaligen Schülerin der Königin-Luise-Schule Ellen Rosalie Süskind beschäftigt. Die 1923 geborene Ellen besuchte unsere Schule vermutlich ab Ostern 1934 und war eine Klassenkameradin von Elsie Berg, zu deren Andenken bereits ein Stolperstein vor der KLS verlegt wurde.
Ellen überlebte den Holocaust durch Emigration in die USA im Jahre 1940, wo sie eine eigene Familie gründete und erst 2008 im Alter von 84 Jahren in New York starb.
Im Rahmen unser Recherchearbeiten haben wir vor allem über Ellens Vorfahren umfangreiche Informationen herausgefunden, die es ermöglichen, ihren Stammbaum bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen. Im Gegensatz dazu konnten wir über ihr Leben in Köln und ihre Zeit an der KLS nur sehr wenig erfahren. Aufgrund dessen beziehen wir uns in dieser Projektarbeit nicht nur auf das Leben der ehemaligen Schülerin, sondern stellen ihr Schicksal mit starkem Bezug zu ihrer Familie dar.
Ellen Rosalie Süskind wurde am 6. Juli 1923 als Tochter von Albert David und Karoline, genannt Lili, Süskind in Köln geboren. Sie hatte einen älteren Bruder, den am 24. März 1921 geborenen Franz Leopold. Es gibt keine Dokumente zu ihrer Taufe, aber die Passagierliste des Schiffs, an dessen Bord sie später in die USA emigrierte, verzeichnet sie und ihre Eltern als von jüdischer Abstammung. Dies zeigt, dass sie trotz der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten nicht zum Schutz christlich getauft wurden.
Der Stammbaum der Familie Süskind ist weit verzweigt und lässt sich bis zu ihrem Ur-Urgroßvater Nathan Süskind klar zurückverfolgen. Jener war von Beruf Krämer und ab 1817 gemeinsam mit seiner Ehefrau Sara Süskind, geborene Cahn [Kann], als Einwohner des zu Königswinter gehörenden Ortes Oberdollendorf gemeldet. Bemerkenswert ist, dass alle weiteren Nachfahren bis einschließlich Ellens Großvater in Oberdollendorf geboren wurden und dort Familien gründeten. Der vorliegenden Einwohnerliste kann ebenfalls entnommen werden, dass alle Süskinds jüdisch getauft wurden.
So wurde im Jahre 1848 auch Ellens Großvater Leopold, genannt Louis, Süskind dort geboren. Über ihn ist bekannt, dass er von Beruf Kaufmann war, woraus wir darauf schließen können, dass die Familie ein finanziell sorgenfreies Leben führen konnte. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass Leopolds Bruder, somit Ellens Großonkel, Albert David Sr. gemeinsam mit seinem Partner Siegmund Sternau Gründer und Inhaber der Tuchfabrik “Firma Süskind und Sternau” mit Sitz in Aachen war, welche sich bald zu einer der größten Aachener Tuchfabriken entwickelte. Sie erzielte vermutlich einen guten Umsatz , was daran erkannt werden kann, dass sie schon bald auf ein größeres Grundstück verlagert wurde und zeitweise 1.200 Weber beschäftigt waren.
Ellens Großvater Leopold hatte gemeinsam mit seiner Ehefrau Rosalie zwei Kinder, den am 18.1.1889 geborenen Albert David und seine fünf Jahre ältere Schwester Paula, welche mit ihrer Familie später ebenfalls in die USA emigrierte und den Krieg dadurch überlebte. Es ist nicht bekannt, ob Leopold mit seiner Familie in Oberdollendorf blieb, da die Quelle nicht über das Jahr 1864 hinausgeht. Er und seine Ehefrau Rosalie starben in den Jahren 1917 und 1918, Ellen lernte ihre Großeltern väterlicherseits also nie kennen.
Albert David verließ Oberdollendorf mit Sicherheit, er wohnte in Köln und gründete dort gemeinsam mit Daniel Sander die Firma “Sander und Süskind”, welche Hosenträger und Gürtel vertrieb. Die Firma hatte ihren Sitz in der Zeughausstr. 24 , also direkt gegenüber dem Römerturm und somit in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Schulgebäudes der KLS. Zudem war Albert Funktionär im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), er hatte also im Ersten Weltkrieg als deutscher Soldat gekämpft. Der RjF verfügte auch über einen Tennisclub in Rodenkirchen, und hier war Ellen Mitglied, wie uns ein Foto zeigt.
Venloer Straße 59 (2009)
Zum Zeitpunkt von Ellens Geburt lebten ihre Eltern und ihr älterer Bruder Franz Leopold in der Venloer Straße 59 in Köln gegenüber dem heutigen Bahnhof West am Grüngürtel. Dort wohnten sie noch mindestens zwei Jahre, denn sowohl das Adressbuch von 1920 als auch das von 1925 verzeichnet die Familie als dort wohnhaft. Ab dem Jahr 1929 wohnte die Familie am Pauliplatz 3a in Köln-Braunsfeld; dort war sie bis 1939 gemeldet, also bis zum Zeitpunkt der Flucht.
Pauliplatz (1929)
Pauliplatz im Jahr 2010 (bei dem gelben Haus im Hintergrund handelt es sich um Hausnummer 3a)
Ab dem Jahr 1933 wohnte auch Friederike Berg mit ihren drei Kindern Lili, Hans und Elsie in dem Haus Pauliplatz 3a. Familie Berg hatte - vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen, bedingt durch den Tod des Vaters Eduard Berg 1927 und die Weltwirtschaftskrise - ihr eigenes Haus in der Joeststraße vermietet und war in eine kleinere Wohnung umgezogen. Die Wahl des Hauses am Pauliplatz dürfte auf privaten Kontakten zur Familie Süskind beruhen, denn Ellen und Elsie kannten sich aus der Schule.
Ellen war Schülerin der KLS und besuchte diese vermutlich bereits ab Ostern 1934, nachweislich von Ostern 1936 bis mindestens Ostern 1938. Sie war eine Klassenkameradin von Elsie Berg, Eva Alsberg und Doritta Sternschuß. Den Zeugnislisten lässt sich entnehmen, dass sie eine durchschnittliche Schülerin war, die im Unterricht gut mitkam und am Ende beider Jahre versetzt wurde. Einige Lehrer werteten ihre Leistungen als zufriedenstellend und erfreulich, andere benannten sie als leicht abgelenkt und unbeherrscht. Allgemein unterscheiden sich die Bemerkungen aber nicht von denen über andere Schülerinnen und es finden sich keine Hinweise darauf, dass sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft anders behandelt wurde.
Außerhalb der Schule musste sich Ellen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung in ihrem täglichen Leben mit Sicherheit immer weiter einschränken. Was mit dem Geschäft ihres Vaters geschah, ist nicht bekannt. 1939 war Albert David jedoch noch im Vorstand der Synagogengemeinde tätig, er engagierte sich also für die jüdische Gemeinde, was wiederum darauf schließen lässt, dass er, trotz der abwertenden Haltung gegenüber seiner Religion, weiterhin an seiner jüdischen Identität festhielt.
Im Jahr 1938 ist uns Ellen noch als Schülerin der KLS bezeugt, zu Ostern 1938 erhielt sie ohne Einschränkungen die Versetzung in die Obertertia (9. Klasse) für das Schuljahr 1938/1939. Wie lange sie die KLS danach noch besucht hat, ist nicht bekannt, spätestens muss sie die Schule aber im Dezember 1938 verlassen haben. Denn mit der "Verordnung zum Schulunterricht an Juden" vom 15.11.1938 wurde allen jüdischen Kindern nun der Besuch "deutscher" Schulen verboten. Dasselbe galt auch für ihre Klassenkameradinnen Eva Alsberg, Elsie Berg und Doritta Sternschuß.
Ob Ellen danach zunächst noch - wie Eva Alsberg - die Jawne besuchte und wann genau die Familie sich zur Flucht entschloss, ist nicht bekannt. Da eine Flucht nach Kriegsbeginn aber kaum mehr möglich war, kann vermutet werden, dass die Familie im Zeitraum zwischen Ostern 1938 und Sommer 1939 nach England floh, auch wenn der genaue Zeitpunkt nicht überliefert ist.
Es ist belegt, dass Karoline Ende des Jahres, am 19. Dezember 1939, in London als ausländische Internierte mit Wohnort “3 Woodstock Avenue” gemeldet war, und da bei der Überfahrt nach Amerika auch Albert und Ellen London als letzten Aufenthaltsort angaben, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie zu dritt in der Woodstock Avenue wohnten.
Am 10.8.1940 verließ die zu diesem Zeitpunkt 17-jährige Ellen England gemeinsam mit ihren Eltern an Bord der “S.S. Samaria”, welche von Liverpool nach New York fuhr. Ihr Bruder Franz verließ Europa ebenfalls im August 1940, er befand sich jedoch an Bord der “S.S. Cameronia”, welche in Glasgow ablegte. Als letzten Aufenthaltsort in England gab er den Ort Sudbury an, welcher etwa 60 km südöstlich von Cambridge liegt. Wie und wann er von dort nach Schottland gekommen war und ob er 1939 gemeinsam mit seiner Familie nach England geflohen war, ist nicht bekannt.
Den Passagierlisten ist zu entnehmen, dass Ellen und ihre Eltern am 21.8.1940 den Hafen von New York City erreichten, Franz Leopold tat dies am 10.9.1940. Im folgenden Jahr zog die Familie gemeinsam in den “1815 Riverside Drive” in New York City, denn bei ihren Anträgen auf Staatsbürgerschaft gaben alle dies als Wohnort an. Ellen beantragte die amerikanische Staatsbürgerschaft am 24.10.1941, ihre Eltern bereits am 20.5.1941, bei Franz Leopold liegt die Beantragung nicht vor.
Durch Ellens Antrag erhielten wir zudem Informationen über ihr äußeres Erscheinungsbild als 18-jährige. Zu diesem Zeitpunkt war sie 1,58 m groß und wog 62,5 kg. Ihre Haare waren dunkelblond und ihre Augen grau, außerdem hatte sie einen hellen Teint. Zudem gab sie das Stricken von Handschuhen als Tätigkeit an.
Franz Leopold erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft am 23.11.1943, Ellen erst 3 Jahre später, am 4.2.1946. Ihre Eltern wurden am 18.2.1946 eingebürgert. Der Familienname lautete in der englischen Version nun “Suskind”, außerdem änderte Karoline ihren Namen zu der englischen Schreibweise Caroline.
Wie bereits erwähnt emigrierte auch Ellens Tante Paula mit ihrem Mann Karl Mendel und ihrem Sohn Gerhard in die USA. Sie wohnten bereits 1935 in Brüssel und waren 1940 in Santa Monica, Los Angeles gemeldet. Ihr Familienname änderte sich zu Madison.
Schon kurz nach ihrer Ankunft wurden Ellens Bruder und Vater 1942 in die amerikanische Armee eingezogen, was insofern erstaunlich ist, als dass sie zu diesem Zeitpunkt noch keine amerikanischen Staatsbürger waren. Franz Leopold wurde am 30.9.1942 nach Fort Jay Governors Island einberufen, zu diesem Zeitpunkt arbeitete er als Industrie-Angestellter. Albert Davids Einberufung geschah ebenfalls 1942, das genaue Datum und der Ort sind jedoch nicht bekannt. Aus dem Dokument geht aber hervor, dass es sich bei ihm um einen braunhaarigen Mann mit blauen Augen und rötlichem Teint handelte. Er arbeitete 1942 bei der Firma “ Revson & Stafford”.
Im Alter von 23 Jahren, am 28.8.1946, heiratete Ellen den 1920 in Deutschland geborenen und ebenfalls in die USA emigrierten Kurt Schonfeld. Die beiden wohnten vermutlich in New York, da Kurt nur zwei Jahre später, am 7.12.1948, in Manhattan, New York an unbekannten Ursachen starb. Somit ließ er Ellen Schonfeld als 25jährige Witwe zurück.
Weitere zwei Jahre später, am 20.7.1950, heiratete Ellen erneut, ihr zweiter Ehemann hieß Eric L. Rosenbaum, war 1920 in Hamburg geboren worden und bereits 1938 in die USA emigriert. Im Jahr 1953 wurde im Adressbuch “4420 Broadway, Manhattan, New York” als Adresse Eric Rosenbaums angegeben und daran änderte sich bis zum Jahr 2000, aus welchem die letzte Angabe zu finden ist, nichts.
Albert David starb, kurz nach Ellens zweiter Hochzeit, am 28.3.1951 im Alter von 62 Jahren. Caroline starb am 11.4.1973. Das Grab der beiden befindet sich in New Jersey. Ellen starb am 26.3.2008 im Alter von 84 Jahren in New York, wo sie auch begraben ist. Eric überlebte sie um sechs Jahre und starb am 16.2.2014.
Ellen und Eric haben zwei Kinder, eine Tochter namens Shirley und einen Sohn namens Barry. Über ihre Geburtsjahre wissen wir leider nichts. beide sind aber noch am Leben. Shirley ist mit einem Mann namens Leslie Stier verheiratet und die beiden haben vier Söhne. Barry ist mit einer Frau namens Anna verheiratet, die beiden haben mindestens einen Sohn. Barry und Leslie gründeten die Firma “Nassau Candy”, welche jegliche Art von Süßwaren verkauft und ihren Hauptsitz in Hicksville, New York hat. Die Söhne der beiden Männer steigen nach und nach in den Betrieb mit ein.
http://www.virtuellesbrueckenhofmuseum.de/sonderausst/einwohner.html (zur Geschichte der Familie Süskind in Oberdollendorf);
https://tuchwerk-aachen.de/project/tuchfabrik-sueskind-sternau/ (zur Tuchfabrik Süskind & Sternau in Aachen)
Text
Die Biographie von Ellen Süskind ist im Jahr 2018 schon einmal von einem Schüler des damaligen Projektkurses erforscht worden. Auf unserem damaligen Kenntnisstand wussten wir nur ihren Namen – und sonst nichts. Dennoch ist auch hier bereits exzellente Arbeit geleistet worden. Und deshalb soll die frühere Arbeit hier ebenfalls ihren Platz finden.
Sie ist zudem ein eindrucksvolles Beispiel für zwei Aspekte, die die Arbeit im Projektkurs immer begleiten: Wie extrem schmal unsere Quellenbasis oft ist – und wie man bei entsprechender Arbeit selbst auf dieser Basis ein Maximum an Erkenntnissen oder begründeten Hypothesen gewinnen kann. Und wie schnell sich durch neue Quellenfunde unser Wissen schlagartig enorm erweitern kann.
Ez
Die Aussicht auf Erfolg bei der Recherchearbeit zur ehemaligen KLS-Schülerin Ellen Süßkind stand von Anfang an unter schlechten Vorzeichen. Die einzige vorhandene Information aus dem NS-Dokummentationszentrum besagte, dass sie einmal die KLS besucht hatte und jüdischen Glaubens war. Weder Geburts- noch Sterbedatum sind überliefert und auch keine Informationen zu ihren Eltern und der gesamten Familie. Es war mir also von Anfang an klar, dass man in diesem Fall einen Glücksgriff brauchte, um doch noch etwas über Ellen Süßkinds Schicksal zu erfahren.
Ich startete meine Suche mit der Datenbank von Ancestry.de. Da sich unter ihrem vollständigen Namen keine Treffer fanden, probierte ich es mit zahlreichen Abwandlungen des Namens. Als ähnlich klingender Name wurde eine gewisse „Helene Süßkind“ vorgeschlagen. Jedoch wurde diese laut Ancestry bereits 1862 in Sachsen-Anhalt geboren und starb 1942 im KZ Theresienstadt. Zudem zeigte ein Eintrag in der Datenbank der Yad Vashem Gedenkseite, dass besagte Helene Süßkind zeit ihres Lebens in Magdeburg lebte. Es handelt sich also höchstwahrscheinlich nicht um die gesuchte Schülerin.
Eine weitere Person mit demselben Namen, Helene Süßkind, wurde laut ihrem Ancestry-Eintrag 1855 in Höxter geboren. Als Wohnsitz wird jedoch die Stadt Iserlohn angegeben, ihr weiterer Verbleib ist unbekannt. Da kein Hinweis auf Köln als Aufenthaltsort bei ihr hinweist und zudem ja der Name noch abweicht, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht die gesuchte Schülerin.
Zusätzlich zu diesen Personen fand ich auf Ancestry.de noch einige weitere Personen mit ähnlichen Nachnamen wie „Süßkind“ und dem Vornamen Ellen, welche aber allesamt nicht infrage kommen, da sie entweder erst nach der NS-Zeit geboren wurden oder ihr gesamtes Leben in den USA verbrachten. Auch ein zweiter, späterer Versuch auf Ancestry.de führte zu keinen neuen Informationen.
Selbst im Verzeichnis der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln war kein Eintrag zu Ellen Süßkind vorhanden. Jedoch stieß ich hier auf den Namen „Herbert Süßkind“, den ich ebenfalls in einer Deportationsliste aus dem Buch „6:00 Uhr ab Messe Köln-Deutz“ gefunden hatte. Laut der Liste der Opfer aus dem NS-Dokumentationszentrum wurde dieser 1934 in Köln geboren und starb 1942 im Vernichtungslager Kulmhof. In der Deportationsliste ist er allerdings als „Herbert J. Süsskind“ aufgeführt, jedoch ebenfalls mit dem Geburtsdatum 1934, weshalb es sich wahrscheinlich um dieselbe Person handelt. Der Verdacht, es würde sich eventuell um einen Verwandten von Ellen Süßkind handeln, ließ sich weder bestätigen noch widerlegen, da in allen anderen Datenbanken, die ich durchsuchte, keine passenden Einträge zu besagtem „Herbert Süßkind“ vorhanden waren.
In der eben erwähnten Deportationsliste aus Köln fanden sich noch insgesamt 7 Personen mit dem Nachnamen „Süsskind“, jedoch konnte ich, nachdem ich alle Namen in den Datenbanken überprüft hatte (Ancestry.de, NS-DOK, geni.com, Yad Vashem Database und holocaust.cz), keine Verbindung zu Ellen Süßkind herstellen.
Nach den Datenbanken recherchierte ich in den historischen Adressbüchern der Stadt Köln nach Ellen Süßkind bzw. möglichen Verwandten. Denn mit der größten Wahrscheinlichkeit wohnte sie als Schülerin der KLS auch in Köln. Zwar ergibt sich zum Beispiel aus dem Schuljahresbericht der KLS für das Schuljahr 1927/28, dass es auch "Fahrschülerinnen" oder sogar "Schülerinnen in Pension" gab, ihr Anteil lag jedoch zusammen bei nur etwa 8%, die allermeisten Schülerinnen wohnten also in Köln.
Ich konzentrierte mich vor allem auf die Adressbücher zwischen 1918 und 1933 und untersuchte stichprobenartig die Ausgaben vor dem Ersten Weltkrieg und nach der Machtergreifung 1933. In keinem der Adressbücher fand sich ein Eintrag zu „Ellen Süßkind“; dies war allerdings auch kaum zu erwarten, denn aufgeführt werden hier die gemeldeten Wohnungsinhaber, also die Väter oder Ehemänner als "Hausvorstand". Ich fand lediglich einige Einträge zu Personen desselben Nachnamens. Hierbei handelt es sich vor allem um Anwälte und Fabrikanten und deren Familien. Insgesamt ist der Name "Süßkind" nicht allzu häufig in Köln belegt; so finden sich beispielsweise im Adressbuch von 1930 nur fünf Männer dieses Namens. Einer von ihnen könnte Ellens Vater sein, bei allen könnte es sich durchaus um Verwandte handeln. Doch ohne weitere Informationen lässt sich kein sicherer Bezug zu Ellen Süßkind herstellen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass bereits im ersten Adressbuch des Jahrgangs 1933 keine Einträge mehr zum Namen „Süßkind“ vorhanden sind und auch nicht in den folgenden Jahrgängen. Es lässt sich also vermuten, dass die jüdischen Familien bereits früh emigrierten und/oder ihre Geschäfte aufgeben mussten.
Als ich mit meiner Recherche eigentlich schon fast abgeschlossen hatte, teilte mir Herr Erkelenz jedoch mit, dass sich auf Nachfrage beim NS-Dokumentationszentrum doch noch etwas über Ellen Süßkind hatte in Erfahrung bringen lassen. Ihr Name findet sich nämlich in einer Schulakte der KLS, und zwar in einer Zeugnisliste für den Jahrgang 1936/37, welche aus dem im Jahre 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchiv stammte. Diese Akte ist also das einzige Indiz, das auf die Existenz Ellen Süßkinds hinweist, aber bedauerlicherweise nicht mehr verfügbar ist.
Damit haben wir zwar immer noch keine genauen Lebensdaten, können Ellen jetzt aber etwas sicherer einordnen. Sie war also zumindest Anfang 1936 noch Schülerin der KLS; wenn es sich um die Zeugnisliste des 2. Halbjahres handelt, dann sogar noch Ostern 1937. Je nachdem, in welcher Klasse sie sich gerade befand, müsste sie zwischen den Jahren 1917 (wenn in der Oberprima) und 1926 (wenn in der Sexta) geboren sein. Wann genau und unter welchen Umständen sie auf die KLS kam, ob noch in der Weimarer Republik oder nach 1933, ist unbekannt (Siehe den Nachtrag unten).
Dass Ellen noch mindestens bis zum Jahr 1936 unsere Schule besuchte, ist aber in anderer Hinsicht ebenfalls noch überaus aufschlussreich. Während andere Schulen in Köln zu diesem Zeitpunkt bereits stolz bekundeten, „judenfrei“ zu sein, war es jüdischen Schülerinnen offensichtlich noch relativ lange möglich, die KLS zu besuchen. Die Tatsache, dass der Ausschluss der jüdischen Schülerinnen an der KLS nicht so konsequent und schnell wie an anderen Schulen umgesetzt wurde, könnte ein Indiz dafür sein, dass die Schulleitung keine überzeugte nationalsozialistische Schulpolitik betrieb, sondern bis an die Grenzen des Zugelassenen ging, um die jüdischen Schülerinnen an der Schule zu halten.
Nach dem aktuellen Stand der Quellen war es zwar nicht möglich, das Leben der jüdischen Schülerin Ellen Süßkind oder auch nur kleine Teile davon zu rekonstruieren, aber dennoch ist das Resultat meiner Meinung nach keine Enttäuschung. Dadurch, dass wir uns mit einem Opfer der NS-Zeit auseinandersetzen und versuchen, das Schicksal dieser Person zu rekonstruieren, verhindern wir, dass diese Person vergessen wird. Dies ist meiner Meinung nach ungemein wichtig, denn wenn wir ein Opfer vergessen, ist es gewissermaßen zweimal gestorben, da nicht nur der Mensch selbst, sondern auch die Erinnerung an ihn gestorben ist. Das Ziel der Nationalsozialisten, die völlige Auslöschung der jüdischen Bevölkerung, wäre durch das Vergessen der Opfer somit erreicht. Und genau deshalb halte ich unsere historische Arbeit für so wichtig, weil wir so dem Vergessen entgegenwirken können.
Nach Abschluss dieser Arbeit sind uns neue Dokumente zugänglich geworden - oder besser: alte Dokumente wieder zugänglich geworden, die durch den Einsturz des Historischen Archivs verloren waren und inzwischen wiederhergestellt werden konnten. Aus ihnen ergibt sich Folgendes:
Ellen ist uns über eine Zeugnisliste aus dem Schuljahr 1936/1937 in der Klasse IV b bezeugt - in derselben Klasse befanden sich auch Eva Alsberg, Elsie Berg und Doritta Sternschuß, also insgesamt vier Mädchen "israelitischen" Glaubens. Demnach muss Ellen im Jahr 1934 an der Schule angenommen worden sein. Da sie zu diesem Zeitpunkt 10 oder 11 Jahre alt gewesen sein dürfte, wird sie im Jahr 1923 oder 1924 geboren worden sein. Besucht hat sie die KLS bis mindestens Ostern 1938, denn zu diesem Zeitpunkt wurde sie in die Obertertia (die 9. Klasse) versetzt.
Erst im Verlauf des Jahres 1938 hat Ellen, ebenso wie ihre drei jüdischen Klassenkameradinnen, die KLS dann verlassen. Unbekannt ist, ob dies schon früher erfolgte oder erst durch den "Erlass zum Schulunterricht an Juden" vom 15.11.1938, durch den allen "Voll- und Geltungsjuden der Besuch deutscher Schulen" verboten wurde. Unbekannt ist ebenfalls, ob sie wie Eva Alsberg bis zu ihrer Flucht noch die jüdische Schule Jawne besucht hat, die in direkter Nachbarschaft der KLS gelegen war.