Elisabeth Kaufmann, verh. Rosenberg

von Greta Wagener

 

„Ich fühle mich wie ein Singvogel, dem man die Flügel beschnitten hat und der im Dunkeln gegen die Stangen seines engen Käfigs anfliegt. »Heraus«, heraus, schreit es in mir, »ich habe Sehnsucht nach Luft und Lachen!«“

So beschreibt Anne Frank, ein jüdisches Mädchen, die Enge, die sie in ihrem Versteck in der Amsterdamer Innenstadt wahrnimmt. „Das Tagebuch der Anne Frank“, welches die Eindrücke der 15-Jährigen und den Alltag im geheimen Hinterhaus festhält, ist seit seiner Veröffentlichung 1947 zu einem weltweiten Phänomen geworden.

Elisabeth Kaufmann hätte diesen Gefühlen von Anne sicherlich zustimmen können. Als gebürtige Kölnerin und Schülerin der Königin-Luise-Schule flieht Elisabeth jung in die Niederlande, wo sie sich in Amsterdam zunächst in einem Krankenhaus, dann auf einem Dachboden versteckt. Es folgen fast drei Jahre Einsamkeit, Hunger und die tägliche Angst entdeckt, verschleppt und ermordet zu werden. Ihre Erfahrungen beschäftigen sie noch für den Rest ihres Lebens und trotzdem ist Elisabeths Geschichte eine der Resilienz. So verbringt sie einen Großteil ihres restlichen Lebens damit, jungen Menschen ihre Geschichte zu erzählen und ihnen ein Beispiel dafür zu sein, wie viele Juden und Jüdinnen während der antisemitischen Verfolgung lebten. In einem Interview 1996 betont sie, für wie wichtig sie es hält, ihre Geschichte zu erzählen, damit Gewalt in einem so enormen Ausmaß nie wieder vorkommt. Ich hoffe sehr, dass ich Elisabeths Geschichte, ihren Erfahrungen und ihrer Idee der Holocaust-Aufarbeitung mit dieser Arbeit gerecht werden kann.

Über die Autorin und den Projektkurs Geschichte

Diese Biografie wurde von Greta Wagener verfasst. Ich war 2023 Teil des Projektkurses Geschichte, der als Wahlfach für die Schüler*innen der Königin-Luise-Schule Köln angeboten wird.

In diesem Projektkurs erforschen und verfassen Schüler*innen der Q1 und Q2 die Biografien von jüdischen Schülerinnen, die vor und während der nationalsozialistischen Herrschaft die Königin-Luise-Schule besuchten. Die Biografien gehen häufig Hand-in-Hand mit der Verlegung von Stolpersteinen. Damit verfolgt der Projektkurs Geschichte das Ziel, jüdische Menschen vor dem Vergessen zu schützen und anderen ihre Schicksale nahe zu bringen.

Denn ein häufiges Problem, welches sich in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust auftut, ist, dass man häufig eine Idee von den Opferzahlen hat, selten jedoch detaillierte und persönliche Vorstellungen darüber hat, was Opfer oder Überlebende für Menschen waren. Und daher treten uns die Biografien, mit Erfahrungen, die wir vielleicht selbst schon gemacht haben, mit Orten, an denen

 

man selbst schon war, sehr nahe. In den letzten Jahren hat sich das Erinnerungskonzept um einiges vergrößert: Neben dem Projektkurs gibt es nun eine Zusammenarbeit mit der WDR-Stolperstein App, im Sommer 2023 wurde gemeinsam mit dem NS-Dokumentationszentrum Köln ein Buch über die Geschichten Jüdischer Schüler*innen veröffentlicht.

 

Elisabeths Interviews - Anmerkung zur Nutzung

Elisabeth Kaufmann, später Rosenberg, gibt nach 1945 zwei sehr ausführliche Interviews in den USA: eines 1984 für das United States Holocaust Memorial Museum, ein weiteres 1996 für das Visual History Archive der University of Southern California. Beide dieser Quellen werden in dieser Projektarbeit vielfach verwendet, da sie einen sehr detailreichen Einblick in Elisabeths Leben geben und dabei einen verlässlichen Eindruck machen. Mir war es möglich, große Teile von Elisabeths Erinnerungen durch weitere historische Quellen zu überprüfen und nachzuweisen, jedoch lässt sich nicht ausschließen, dass einige Erfahrungen, Erlebnisse oder Eindrücke möglicherweise mit der Zeit durcheinandergebracht, oder später durch äußere Faktoren beeinflusst wurden. Die Interviews Elisabeths sind eine wesentliche Quelle für diese Arbeit, die in diesem Ausmaß sonst nicht zustande gekommen wäre.

Kindheit in Köln

Erste Lebensjahre

Elisabeth Kaufmann wird am 27.11.1922 als einziges Kind von Ernst Emanuel Kaufmann und Elfriede Kaufmann (geb. Salm) in Köln geboren. Zu Beginn ihres Lebens sind sie wohnhaft am Deutschen Ring 44, der am heutigen Ebertplatz liegt und 1960 in “Theodor-Heuss-Ring" umbenannt wurde. Aufgrund der zentralen Lage der Wohnung sowie des Berufs von Ernst Emanuel Kaufmann lässt sich vermuten, dass sie in eine finanziell gut aufgestellte Familie geboren wurde.

Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits ist Elisabeths gesamte Familie jüdischen Glaubens. Elisabeth selbst berichtet später, dass jüdische Feste immer bei den Eltern ihres Vaters gefeiert wurden. Daher lässt sich vermuten, dass Elisabeth und ihre Eltern nicht jüdisch-orthodox lebten, sondern sich eher am liberalen Judentum orientierten.

Elisabeth besucht einen Kindergarten und wird dann auf eine katholische Volksschule in fußläufiger Nähe geschickt. Sie beschreibt später, dass sie dort alle für die Zeit typischen Schulfächer hatte, darunter Mathematik, Grammatik und Buchstabieren.

 

Familie

Elisabeths Vater, Ernst Emanuel Kaufmann, wird am 25.1.1889 als zweiter Sohn von Siegmund und Alice Kaufmann (geb. Heß) in Köln geboren. Er ist Inhaber der Firma H. Kaufmann & Cie “Berufs- und Sportkleiderfabrikation” und betreibt ein Geschäft auf der Schildergasse 47-49. Ernst identifiziert sich stolz als Deutscher, seine Familie lebt schon in der 5. Generation in Deutschland. Ernst kämpfte im Ersten Weltkrieg, wofür ihm das Eiserne Kreuz verliehen wurde.

Das Eiserne Kreuz ist ein militärischer Orden, der ab 1914 an die Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges vergeben wurde. Es war die erste deutsche Auszeichnung, die unabhängig von sozialer Herkunft verliehen wurde und bildete damit eine schichtenübergreifende Ehrenkultur in der deutschen Gesellschaft. Dabei wurde es in zwei Klassen sowie als Großkreuz vergeben. Das Eiserne Kreuz wurde bei herausragender Tapferkeit vergeben, wobei das Eiserne Kreuz II. Klasse die niedrigste Klasse war, unter dem Eisernen Kreuz I. Klasse. Die höchste Klasse bildete das Großkreuz des Eisernen Kreuzes. Welches Eiserne Kreuz Ernst Kaufmann verliehen wurde, ist uns nicht bekannt.

Ernsts Bruder Hermann Kaufmann hat zwei Kinder, Fritz (geb. 1920) und Annemarie (geb. 1923). Die Familie wohnt am Platz der Republik 1, dem heutigen Ebertplatz, also in unmittelbarer Nähe zu Elisabeth und ihren Eltern. Auf Grund dessen, und aufgrund der Nähe im Alter lässt sich vermuten, dass sich Elisabeth, Fritz und Annemarie sich sehr nahestanden.

Elisabeth, Fritz und Annemarie (v. L), vermutlich ca. 1932 (NS-Dok)

Elisabeths Mutter Elfriede Salm kommt aus den Niederlanden, wo sie am 18. April 1902 in Maastricht geboren wird. Sie ist die Tochter von Sali Salm und Bertha Elisabeth Salm (geb. Loewenherz) und zusammen wohnen sie in der Lage Barakken 15. Am 5. November 1916, als Elfriede 14 ist, stirbt ihre Mutter mit 36 Jahren an Krebs. Ihr Vater heiratet 1917 erneut, die Witwe Bertha Walthausen, welche eine Tochter, Renee Helene, mit in die Ehe bringt. Mit 17 Jahren wird Elfriede in ein Pensionat, eine Erziehungsanstalt für Mädchen, in Lausanne geschickt. Nach dem Ende ihrer Zeit dort zieht sie zu einer Tante nach Köln, die sie mit Ernst Kaufmann verkuppelt. Am 28. Mai 1921 heiraten Elfriede Salm und Ernst Emanuel Kaufmann in Maastricht; zusammen wohnen sie in Köln.

 

Scheidung der Eltern und Aufenthalt in Belgien

Als Elisabeth 6 Jahre alt ist, lassen sich ihre Eltern 1929 scheiden. Elisabeth beschreibt später, dass es keine Heirat aus Liebe und ihre Mutter wohl sehr unglücklich verheiratet war. Nach der Scheidung arbeitet Elfriede in verschiedenen Stellen und auch Ernst bleibt zunächst in Köln. Elisabeth kommt während dieser Zeit bei verschieden Freunden und Verwandten der Familie unter. Als sie 10 Jahre alt ist, wird Elisabeth nach Belgien geschickt, um dort bei ihren Großeltern mütterlicherseits zu wohnen, die aus den Niederlanden hergezogen waren, während ihre Mutter sich in einem neuen Geschäft einarbeitet. Dort bleibt Elisabeth etwas weniger als ein Jahr, besucht aber eine weiterführende Schule in Liège. Sie beschreibt Schwierigkeiten in der Schule, weil sie zu Beginn kein Französisch kann. Im August 1933 kommt sie zurück nach Köln, nachdem ihre Mutter den Kaufmann Arthur Gerstel geheiratet hat.

Elisabeth beschreibt später, dass sie sehr froh über ihren Stiefvater war, da sie durch die Scheidung den Kontakt zu ihrem Vater etwas verloren hatte. Zwar trafen sie sich gelegentlich an einem Samstagnachmittag, um ein Eis zu essen oder in Kino zu gehen, jedoch hatte sie das Gefühl, dass er nicht wusste, wie er mit ihr umgehen sollte. Die Altersdifferenz war sehr groß und während er versuchte sich ein neues Leben aufzubauen und erneut zu heiraten, schien es ihr, als dass sie dem im Weg stehen würde.

 

Arthur Gerstel

Elisabeths Stiefvater Arthur Gerstel wird am 25. Oktober 1898 in Berlin geboren. Seine Eltern sind Fanny Gerstel (geb. Gerstel) und Paul Gerstel. Sie eröffnen 1908 die Kölner Filiale des Modehaus Moritz Gerstel im Stollwerk Am Hof 4-6, das bereits 1873 gegründet wurde. Das Unternehmen Gerstel hat weitere Standorte in ganz Europa, darunter Paris, Berlin, Frankfurt am Main und Breslau. Es verkauft elegante Damenmode und ist auf Pelze spezialisiert. Sie werben damit, der “Königliche Prinzliche Hoflieferant” zu sein.

Geschäft M. Gerstel in Köln 1913 (NS-Dok)

Nach dem Tod des Vaters übernimmt Arthur als Direktor und Hauptteilhaber das Geschäft. Er heiratet 1922 Alice Woltschonok; zusammen haben sie einen Sohn Paul (geb. 1924). Sie leben in einer Villa in Marienburg, am Bayenthal Gürtel 62, und werden durch ein Hausmädchen, eine Köchin, einen Gärtner und einen Chauffeur unterstützt. 1933 lassen sie sich jedoch scheiden; als Scheidungsgrund wird die Untreue Arthurs angegeben. Da Elfriede und Arthur noch im gleichen Jahr heiraten und sich bereits kannten, lässt sich vermuten, dass diese Beziehung die als Scheidungsgrund angegebene Untreue war.

Elisabeth beschreibt ihren Stiefvater später als sehr kultiviert und klug. Sie sind sich nah und er kümmert sich sehr um sie. Elisabeth lebt nach ihrer Rückkehr aus Belgien mit ihrer Mutter und Arthur zunächst in der Vorgebirgstraße 33 in Zollstock, ab 1934 dann Am Agrippina Ufer 2.

Weiterführende Bildung an der KLS und an der Jawne

Nach ihrer Rückkehr aus Belgien besucht Elisabeth zusammen mit ihrer Cousine Anneliese ab August 1933 die Königin-Luise-Schule. Diese befindet sich zu der Zeit in der St.-Apern-Straße und bietet als städtisches Lyzeum I und Oberlyzeum weiterführende Bildung und das Abitur für Mädchen an, sowie höhere Bildung in Form einer „Frauenschule“. Das Schuljahr beginnt zu dieser Zeit immer nach Ostern, Elisabeth wird also nachträglich noch an der KLS aufgenommen.

Postkarte mit dem Gebäude der Königin-Luise-Schule in der St-Apern-Straße, ca. 1920 (Schularchiv KLS)

Im Schuljahr 1936/1937 besucht Elisabeth die Untertertia a, was heute der 8. Klasse entspricht. Ihre Lehrerin ist eine „Frau Meyer“. Sie lernt die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch, Geschichte, Erdkunde, Mathematisch Rechnen, Physik, Zeichnen, Musik, Leibesübungen und Nadelarbeit, in denen sie gute Leistungen erbringt. Sie scheint eine gute Schülerin zu sein, mit vielen Zweien und Dreien in den meisten Fächern. Am besten ist sie in den Leibesübungen, wo sie nur Einsen hat. Ihr “schlechtestes” Fach ist Zeichnen, wo sie einmal eine 3- bekommt. Insgesamt wird ihre Leistung zunächst als “ausreichend”, dann als “voll ausreichend” beschrieben.

Auch im folgenden Schuljahr 1937/1938, in welchem Elisabeth die Obertertia, die 9. Klasse besucht, zeigt sich ein ähnlicher Notenspiegel und erneut werden ihre schulischen Leistungen als „ausreichend“ und „voll ausreichend“ betitelt.

Klassenfoto vom 22.10.1936; Elisabeth steht in der 2. Reihe, 2. v.R. (Schularchiv KLS)

Im Schuljahr 1939/1940 erscheint Elisabeth nicht mehr auf den Zeugnislisten. Durch das Diensttagebuch der KLS ist bekannt, dass am 27. März 1938 ein Brief mit dem Betreff „Umschulung der Töchter auf die jüdische höhere Schule“ an Familie Gerstel geschickt wurde. Mit ihrem erzwungenen Verlassen der Königin-Luise-Schule gipfelt der schulische Antisemitismus gegen die jüdischen Schülerinnen.

Jedoch leiden jüdische Schüler*innen seit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 unter Antisemitismus, darunter auch in akademischen Aspekten. Die Nationalsozialisten beginnen früh, ihre rassischen Ideologien in der Schule durchzusetzen, zunächst durch systematische Ausgrenzung jüdischer Schüler*innen. Drei Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme beginnt auch die rechtliche Diskriminierung durch das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schule und Hochschulen“. Dies setzt durch, dass nur noch ein beschränkter Prozentsatz der Schüler „Nichtarier“ seien dürfen, und auch der Anteil der „Nichtarier“ bei Aufnahme auf Volksschulen wird stark beschränkt.

Jedoch bilden Kinder von Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges eine Ausnahme, und somit kann Elisabeth ab 1933 noch die KLS besuchen, ohne Gefahr zu laufen, bei einer Überschreitung der Anteile suspendiert zu werden. 1935 entfällt diese Ausnahme und nach den „Nürnberger Gesetzen“ ist nun auch Elisabeth gefährdet, bei Überschreitung der Prozentgrenze suspendiert zu werden. Glücklicherweise ist es für Elisabeth möglich weiter an der Königin-Luise-Schule zu lernen, aber sie beschreibt, dass es als Jüdin in einer überwiegend nicht-jüdischen Schule schwer wurde:

 

„But soon it became difficult, because the teachers became very much interested in the Nazi Party and we were sometimes put in the back of the class. And we were really separated from the rest of the kids in the class. At times, we could not even speak, during recess, to the Christian children, because they could go home and say: “We spoke to a Jewish child” and the father’s profession could be jeopardized in that way. […] It was a very hard time, even though it seemed normal in school, it was hard to get good grades […].”

 

“Aber bald wurde es schwer, weil die Lehrer großes Interesse an der Nazi-Partei fanden und wir manchmal in den hinteren Bereich der Klasse gesetzt wurden. Und wir waren getrennt vom Rest der Kinder in der Klasse. Zeitweise konnten wir nicht einmal während der Pause mit den christlichen Kindern sprechen, weil sie nachhause gehen und sagen konnten: „Wir haben mit einem jüdischen Kind gesprochen“ und der Beruf des Vaters könnte so gefährdet werden. […] Es war eine schwere Zeit, auch wenn es normal in der Schule schien. Es war schwer gute Noten zu kriegen.

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Diese Angaben macht sie 1994 in einem Interview. Dazu muss erneut betont werden, dass sich nicht klar sagen lässt, inwiefern diese Erinnerungen Elisabeths, fast 60 Jahre später, der historischen Realität entsprechen. Trotzdem ähneln Elisabeths Aussagen denen von anderen jüdischen Schülerinnen, die insgesamt den Eindruck hinterlassen, dass sich der Antisemitismus an der Königin Luise Schule zu großen Teilen in Grenzen hielt. Denn wie die Zeugnislisten zeigen, bekam Elisabeth ja gute Noten, sie wurde anstandslos jedes Jahr in die nächsthöhere Klasse versetzt und durfte bis 1938, also 5 Jahre lang, die KLS besuchen.  Zudem lassen Einträge im Dienstagebuch der Königin Luise Schule von 1937 vermuten, dass das Entlassen der jüdischen Schülerschaft auch auf äußerem Druck hin erfolgte.

Trotzdem zeigen Elisabeths Aussagen klar, dass es Antisemitismus auch auf unserer Schule in einem solchen Maße gab, dass er für Elisabeth wahrscheinlich deutlich spürbar und sogar unausweichbar war.

Nach ihrem Verlassen der KLS besucht Elisabeth ab September 1938 das jüdische Reformrealgymnasium Jawne, die einzige weiterführende jüdische Schule im Rheinland. Die Jawne liegt ebenfalls in der St.-Apern-Straße (Nummern 29 bis 31) und grenzte an die KLS. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten besuchten die Schule hauptsächlich orthodoxe Juden. Mit dem systematischen und gesellschaftlichen Antisemitismus, der auf die Machtübernahme folgt, steigen die Anzahl und damit auch die Zusammensetzung der Schüler. Denn die Schüler, die von nicht-jüdischen Schulen wechseln, haben meist ein weniger ausgeprägtes Verhältnis zu den traditionellen und orthodoxen Werten des Judentums.

Auch Elisabeth beschreibt, dass es ihr schwer fiel sich an der Jawne anzupassen, weil viele der Schüler*innen dort mehr Erfahrung mit dem jüdisch-orientierten Unterricht hatten, darunter Hebräisch und jüdische Geschichte. Uns ist nicht bekannt, wann genau Elisabeth die Jawne verlässt. Sie beschreibt jedoch, dass sie bereits am Ende des Ersten Semesters merkte, dass sie dort nicht bestehen konnte und es ist zu vermuten, dass sie die Schule kurz nach Schluss des 1. Semesters verließ.

Gespräche über Emigration

In den 1930er Jahren, unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, verschlechtert sich die Lage von Juden nicht nur in schulischen Aspekten. Durch die Umorientierung aller Lebensaspekte nach nationalsozialistisch-antisemitischer Ideologie werden Juden nach und nach aus der deutschen Gesellschaft ausgestoßen. Elisabeth beschreibt antisemitische Broschüren und Zeitungsartikel, die an Hauswänden kleben und dass auf der Straße immer mehr Männer in SS- und SA-Uniform sichtbar sind. Ab 1936 sind Elisabeths nicht-jüdische Gleichaltrige gesetzlich verpflichtet, Mitglieder der nationalsozialistischen Jugendorganisationen zu werden. Elisabeth beschreibt die Situation als komisch. Sie hat das Gefühl, von Menschen nur in der Peripherie wahr genommen zu werden. 1938 ist sie sehr glücklich darüber, zu emigrieren.

Schon seit 1936 ist der Familie Kaufmann/Gerstel klar, dass sie Köln irgendwann verlassen muss. In den kommenden zwei Jahren ist auch Arthur Gerstels Geschäft immer häufiger von antisemitischen Vorfällen betroffen und die Kundschaft nimmt stetig ab. Elisabeth beschreibt, dass öfter Schilder mit Beschriftungen wie “Dirty Jew” (“Dreckiger Jude”) oder “Don’t buy from Jews” (Kauf nicht von Juden”) an der Ladentür hingen. Auf Grund dessen wird eine mögliche Emigration ein ständiges Thema in Elisabeths Familie. Eine Überlegung ist, in die Schweiz zu flüchten, wo die Familie einige Male Urlaub gemacht hatte, und Elisabeth selbst überlegt für eine kurze Zeit mit Freunden nach Südafrika oder Indien zu fliehen - beides Überlegungen, die nicht umsetzbar sind.

Letztendlich beschließt die Familie 1938 in die Niederlande zu emigrieren. Da Elisabeths Mutter dort geboren ist, wäre es ihr möglich, ihre niederländische Staatsbürgerschaft im Falle einer Scheidung wiederzuerlangen. Da Elisabeths Mutter und Arthur Gerstel sich jedoch nicht scheiden lassen möchten, beschließen sie, eine Scheidung zu fälschen. Mit Hilfe eines Anwalts wird die gefälschte Urkunde ausgestellt, wodurch Elfriede ihre Staatbürgerschaft wiedererlangt.

Flucht und Leben in den Niederlanden

Flucht und Aufenthalt in Dinxperlo

Wann genau die Familie in die Niederlande emigriert, ist nicht klar. Da Elisabeth die Reichspogromnacht 1938 in keinem ihrer Interviews als Erinnerung schildert, lässt sich vermuten, dass sie zu dieser Zeit schon in den Niederlanden lebt. Auf Elfriedes niederländischem Pass ist nicht kenntlich, dass sie Jüdin ist, was ihr die Emigration vereinfacht. Die deutschen Pässe von Elisabeth und Arthur Gerstel sind zu dieser Zeit jedoch schon mit einem roten “J” gestempelt, was sie unmittelbar als Juden kennzeichnet. Als Minderjährige kann Elisabeth zusammen mit ihrer Mutter in die Niederlande fliehen, dies gilt aber nicht für Elisabeths Stiefvater, da er und Elfriede “geschieden” sind. Elisabeth und ihre Mutter fliehen mit dem Zug über die niederländische Grenze in den kleinen Ort Dinxperlo, unmittelbar hinter der Grenze.

Der damalige Bürgermeister von Dinxperlo ist Hendrik Jan Verbeek, der sich sehr für deutsche Juden einsetzt und auch nach der Grenzschließung im Mai 1938 weiterhin Juden in Dinxperlo aufnimmt. Auch Elisabeth und ihre Familie werden von Verbeek unterstützt, der ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Kurze Zeit später kommt Arthur illegal über die Grenze und zusammen lebt die Familie zunächst in einem Hotel zusammen mit anderen Flüchtlingen, später in einem kleinen Appartement. Es war ihnen möglich, wenige wertvolle Dinge aus Köln mitzunehmen, darunter Kunstwerke und Silberbesteck. Da es für Arthur, der illegal in den Niederlanden ist, nicht möglich ist, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, nimmt Elfriede nach einiger Zeit in Den Haag eine Stelle in einem Haute-Couture-Geschäft. Sie zieht dort, zunächst allein, für einige Zeit hin, bis auch Elisabeth und Arthur eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und 1939 zu ihr ziehen.  

 

Leben in Den Haag

Am 13. September 1939 eröffnen Elisabeths Eltern ein eigenes kleines Geschäft, das sich auf Haute-Couture-Mode für Damen spezialisiert – genau wie Arthur Gerstels Geschäft in Köln. Es befindet sich in der Den Haagener Innenstadt, Noordeinde 192, und es ist zu vermuten, dass die Familie in der Wohnung über dem Laden lebt.

Noordeinde 192; Das Modegeschäft der Gerstels in Den Haag (The Hague Municipal Archives, Identification No.: HGA001326982)

Elisabeth hilft ihrer Mutter im Geschäft, während Arthur im Hintergrund arbeitet, da er als „illegaler“ Flüchtling keine Arbeitsgenehmigung bekommen kann. Sie beschreibt, dass sie das Aushelfen genießt, es jedoch nicht möglich für sie ist, dort eine Schule zu besuchen, weil sie kein Niederländisch spricht. Aufgrund dessen fällt es Elisabeth schwer, Kontakt zu Gleichaltrigen zu finden. Sie erzählt später, dass es eine schöne Zeit für die Familie war, mit der Hoffnung, nach ihrer Zeit im nationalsozialistischen Deutschland neu anfangen zu können.

Besetzung der Niederlande

Diese sehr friedliche Phase kommt im Jahr 1940 zu einem abrupten Ende, als am 10. Mai die deutschen Truppen in die Niederlande einfallen - acht Monate nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939. Obwohl sich die Niederlande seit Beginn des Krieges neutral verhalten hatten und trotzdem zunehmend mit einem deutschen Angriff rechnen, war die niederländische Armee dem Blitzkrieg der Deutschen nicht gewachsen. Besonders Den Haag mit dem Regierungssitz gerät unter Beschuss. Dort sollen Luftlandetruppen die Königsfamilie, die Regierung und die Obersten Befehlshaber der niederländischen Armee festnehmen. Auch Elisabeth bekommt am frühen Morgen etwas von dem Angriff mit:

 

„One morning we woke up at 5 o’clock and German airplanes overran the Hague in enumerable masses, flying a low as cars go on the street. There was absolutely nothing to stop them. A military installation was laid flat in order to scare the Dutch people and bring them to their feet. […] Rotterdam was invaded heavily. We stood on the roof of our apartment house and saw Rotterdam burn.”

 

“Eines Morgens wachten wir um 5 Uhr auf, während unzählige deutsche Flieger über Den Haag flogen. Sie flogen so tief wie Autos auf den Straßen fuhren. Nichts konnte sie stoppen. Eine militärische Anlage wurde lahmgelegt, um den niederländischen Bürgern Angst einzujagen und sie zu unterwerfen. […] Rotterdam wurde stark angegriffen. Wir standen auf dem Dach unseres Apartment-Hauses und sahen Rotterdam brennen.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Am 14. Mai 1940 kapitulieren die Niederlande; die Königsfamilie und die Regierung sind bereits nach Großbritannien geflohen. Die deutsche Besatzung sorgt bei den deutschen Jüdinnen und Juden für große Angst. Auch Elisabeth beschreibt, dass diese Situation sehr beunruhigend für die Familie war. Sie wissen nicht, wo sie hin sollen, ob sie weiter fliehen oder bleiben sollen. Letztendlich beschließt die Familie in Den Haag zu bleiben.

Die Besatzungsstruktur, die die Deutschen in den Niederlanden anwenden, orientiert sich nicht an einem Militärregime oder einer totalitären Diktatur wie in Deutschland. Stattdessen wird eine Zivilverwaltung eingesetzt, deren Spitze der Reichskommissar Arthur Seys-Inquart besetzt. Viele der für das Reichskommissariat relevanten Posten werden von überzeugten Nazis besetzt und das Ziel eines „judenfreien“ Reiches besteht auch in den Niederlanden. Und trotzdem ist die niederländische „Nazifizierung“ eher tolerant: Presse und Arbeiterorganisationen werden zwar kontrolliert, andere Bereiche wie die Schule jedoch weitgehend in Ruhe gelassen. Das gilt jedoch nur, solange sich diese nicht anti-deutsch verhalten; in dem Falle zeigt die Besatzungsmacht ihren Einfluss, beispielsweise durch Entlassungen.

Nach und nach beginnt die deutsche Besatzungsverwaltung auch in den Niederlanden mit der Judenverfolgung. Im Juli 1940 kommt es zur ersten antisemitischen Maßnahme in den Niederlanden, die das jüdische Schlachten verbietet. Im Oktober 1940 wird beschlossen, dass alle Beamten ihre „arische Herkunft“ beweisen müssen, was wiederum für die Entlassung jüdischer Beamter im November 1940 sorgt.

Zeit in Bussum und Amsterdam bis Mitte 1942

Als im September 1940 die Anweisung kommt, dass alle deutschen Flüchtlinge die holländische Küstenregion verlassen müssen, muss die Familie einen Platz für Elisabeth und Arthur finden. Über Freunde und jüdische Organisationen finden sie in Bussum eine Familie, in der Elisabeth leben kann. Während Arthur in die Nähe Elisabeths nach Naarden zieht, bleibt Elfriede in Den Haag, um das Geschäft zu betreiben. Elisabeth fühlt sich dort sehr wohl; die Familie mit Kindern ist sehr freundlich. Trotzdem ist es eine schwierige Situation für sie, von ihren Eltern getrennt zu leben in einem Umfeld, das kein Deutsch spricht.

Ab Januar 1941 müssen sich Juden in den Niederlanden registrieren lassen und auch Elisabeth verlässt Bussum, um sich nach Amsterdam zu begeben. Elisabeth beschreibt, dass sich Juden in Amsterdam versammeln sollen, weil die deutschen Besatzer das Ziel verfolgen die jüdische Bevölkerung für kommende Deportationen an möglichst einem Platz zu haben. Im Amsterdam bekommt auch Elisabeth einen „persoonsbewijs“, einen Personalausweis, der sie klar als Jüdin identifiziert. Er zeigt nicht nur ein großes „J“, sondern auch die Namen Sara und Isaak, die Juden und Jüdinnen als Zweitnamen zugeschrieben werden. Der niederländische Personalausweis für Juden ist der fortgeschrittenste in ganz Europa. Nicht nur sind sie mit Fingerabdrücken, Unterschrift und einem Foto des Trägers ausgestattet, jeder Ausweis hat zudem eine eigene Nummer, die mit der zentralen Datenbank verglichen werden kann.

In Amsterdam muss Elisabeth erneut eine Familie finden, bei der sie leben kann. Ihr Vater Ernst Kaufmann, der ebenfalls in die Niederlande emigriert war, lebt in Amsterdam und hilft ihr, bei einer befreundeten Familie unterzukommen. Während ihrer Zeit dort ist es ihr möglich, ihren Vater gelegentlich zu sehen. In Amsterdam bleibt Elisabeth vermutlich den Rest des Jahres 1941 und den Beginn von 1942, bis im Juni 1942 der Aufruf kommt, dass Juden sich für den einen „Arbeitseinsatz“ in Deutschland melden sollen. Von Arbeitslagern hat Elisabeth zu diesem Zeitpunkt schon gehört. Zudem beschreibt sie, dass sich die antijüdischen Maßnahmen der Besatzer erneut verschärft haben: Ab August müssen Juden erst ihr Vermögen, dann auch Schmuck, Gemälde und andere Wertgegenstände an die Bank Lippmann Rosenthal & Co. geben, die von den Nationalsozialisten kontrolliert wird. Ab Oktober 1941 müssen jüdische Geschäfte gekennzeichnet werden, genauso wie Arthur Gerstel das mit seinem Geschäft in Köln erlebt hatte. Ab dem 3. Mai 1942 müssen alle Juden einen gelben „Judenstern“ tragen und viele weitere Maßnahmen sorgen nun auch in den Niederlanden dafür, dass Juden in allen Lebensbereichen isoliert werden.

An diesem Punkt realisiert Elisabeth, dass sie als Jüdin bei befreundeten Familien nicht mehr sicher ist und sie sich verstecken muss.

Zeit des Untertauchens

Versteck in einem Krankenhaus sowie Altersheim

Kurze Zeit später verlässt Elisabeth auch diese Familie. Ein befreundeter Arzt von Ernst Kaufmann stellt ihr ein Attest aus und sie wird in ein jüdisches Krankenhaus „eingewiesen“. Es ist zu vermuten, dass es sich dabei um das Nederlands Israëlitisch Ziekenhuis (NIZ) handelt, eines der wenigen jüdischen Krankenhäuser in Amsterdam, über das berichtet wird, dass sich Juden aus Angst vor Deportationen dort versteckten.

Patientenbetten im NIZ Amsterdam, 1938 (Joods Cultureel Kwatier, Collectie van de Joods Museum, Objektnummer: F010986)

Elisabeth selbst berichtet, dass es ihr sehr schwerfiel, sich für eine so lange Zeit krank zu stellen, besonders als ein 19 Jahres altes Mädchen. Sie gibt an, dass sie dort etwa fünf Monate bleibt, bis zu einem abrupten Ende, als die Nationalsozialisten eines Morgens kommen, um das Krankenhaus zu räumen, obwohl sie Krankenhäuser und Altersheime lange in Ruhe gelassen hatten. Sie hört Menschen schreien: „The Germans are coming, the Germans are coming” („Die Deutschen kommen, die Deutschen kommen“), und bekommt selbst mit, wie viele kranke Menschen verhaftet werden. Glücklicherweise ist sie selbst gesund und schafft es aus ihrem Zimmer im ersten Stock, noch im Nachtkleid, zu fliehen. Die niederländische Untergrundbewegung weiß von der Räumung des Krankenhauses und umstellt es. Als Elisabeth aus ihrem Zimmer springt, wird sie vom Untergrund gerettet. Dieser bringt sie kurze Zeit später in ein Altersheim. Dort leben mit ihr noch andere Untergetauchte in ähnlichen Situationen, aber auch viele ältere Menschen. Sie unterhält sich mit Grafologie, der Analyse von Handschriften, bekommt Unterstützung vom Widerstand und gelegentlich von ihrem Vater, der auch in Amsterdam wohnt.

Am 24. August 1942 wird Arthur Gerstel in seinem Versteck in Ieplaan 58 in Den Haag verhaftet, Elisabeths Mutter ist zwar anwesend, kann aber nichts tun, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Danach hat sie große Angst um das Leben Elisabeths und sagt ihr:

 

„There is just one way out, you must go in hiding, and I want you right away in hiding […].”

“Es gibt nur einen Weg hinaus, du musst dich verstecken und ich möchte dich jetzt im Versteck […].“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Das ist jedoch nicht einfach, da Elisabeth das Altersheim nicht mit ihren offiziellen Papieren verlassen kann, weil diese mit einem „J“ markiert sind. Eine Bekannte stiehlt daraufhin in einem Schwimmbad die Papiere eines Mädchens in Elisabeths Alter. Der Widerstand ersetzt das Foto durch eine Passfoto Elisabeths und fälscht den Stempel. Das einzige Risiko stellen die Fingerabdrücke des Mädchens dar, die sich nicht ändern oder ersetzen lassen. Daher sind diese Papiere nützlich bei einer kurzen Begegnung mit den Nationalsozialisten, bei einer längeren Untersuchung besteht jedoch das Risiko entdeckt zu werden. Elisabeth nimmt nun die Identität von Lydia Smith an. Über Kontakte ihrer Mutter wird Elisabeth, vermutlich im späten Jahr 1942, auf dem Dachboden einer Familie in Den Haag versteckt.

Versteck auf dem Dachboden

Elisabeth lebt bereits seit einigen Monaten versteckt auf ihrem Dachboden, als ihr Vater im November 1943 verhaftet wird. Aus Angst, dass Ernst gefoltert werden und Elisabeth verraten könnte, verlegt der Widerstand sie in ein anderes Versteck, bis man sicher ist, dass Ernst nicht mehr in den Niederlanden ist und sie auf den Dachboden zurückkehrt.

Elisabeth beschreibt den Dachboden als sehr klein und die Fenster als mit grauem Papier zugekleistert, damit man nicht in das Versteck hineinsehen kann. Ihre einzige Lichtquelle ist das Tageslicht, und wenn es im Winter früh dunkel wird, darf sie keine Lampe anmachen, da sie sonst Gefahr läuft, von Nachbarn entdeckt zu werden. Lebensmittel werden im Laufe des Krieges knapp, trotzdem teilt die Familie ihre Rationen mit Elisabeth. Ein Badezimmer hat Elisabeth nicht. Jede Nacht kommt einer der Eltern, um eine kleine grüne Vase auszuleeren, die als ihre Toilette funktioniert. Darüber wie sie ihre Zeit verbringt, berichtet sie:

 

“I probably, as I recall I did some crossword puzzles, and I wrote a lot. I wrote about what I read; I still have some of the books that I wrote into in that time […]. Each book I wrote impressions to keep myself busy, and I studied graphology like mad and that kept me busy. And the people I was with, they were always taking care of me, they provided me with handwritings of friends and so forth. It really was something. And after the war end[ed] in Holland, big department stores didn’t hire any personnel without doing a handwriting study, and I always thought I can get a job there, it was my aim.”

“Wahrscheinlich habe ich, ich erinnere mich, Kreuzworträtsel gemacht, und ich habe viel geschrieben. Ich habe darüber geschrieben, was ich gelesen hatte, und ich habe immer noch ein paar der Bücher, in die ich in dieser Zeit reinschrieb. In jedes Buch habe ich Eindrücke geschrieben, um mich zu beschäftigen und ich habe wie verrückt Grafologie gelernt, auch das beschäftigte mich. Und die Leute, bei denen ich war, haben immer auf mich aufgepasst. Sie haben mir die Handschriften von Freunden gebracht und so. Das war was. Und nach dem Kriegsende in Holland haben große Geschäfte kein Personal eingestellt, ohne eine handschriftliche Analyse durchzuführen und ich habe immer gedacht, dass ich dort arbeiten kann, das war mein Ziel.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Ein Radio hört sie heimlich und sie beschreibt, dass sie auf einer Karte mit Nadeln markiert, wie weit die deutsche Armee in Russland vorrückt. Über dieses Radio hört sie auch von Konzentrationslagern und hat große Angst um ihre Familienmitglieder. Um diese Zeit begreift die 21-Jährige Elisabeth erst, wie wichtig es ist, versteckt in Sicherheit zu bleiben. Über die Familie, mit der sie so lange lebt, erzählt sie folgendes:

 

“[The] Three [Children] […] they were small, they really never realized [that I secretly lived there], because I was totally separated from them. [The only contact I really had] was with the adults who I saw every night, they brought me something to read or something to eat which was very little, and that was my contact and that was my contact to the outside world they knew what was going on in the surroundings and then I had my radio, was my friend.”

“[Die] drei [Kinder] waren klein, sie haben nie realisiert, [dass ich dort heimlich wohnte], weil ich komplett getrennt von ihnen war. [Der einzige Kontakt, den ich hatte,] war zu den Erwachsenen die ich jede Nacht sah, sie brachten mir etwas zum lesen oder etwas zu essen, was sehr wenig war. Und das war mein Kontakt zur Außenwelt, sie wussten, was im Umfeld passiert, und dann hatte ich mein Radio, das war mein Freund.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Da sie keine Namen oder andere biographischen Anhaltspunkte der Familienmitglieder nennt, ist nicht bekannt, wer in dieser Zeit Elisabeths Leben rettete. Trotzdem spricht sie, selbst 40 Jahre später, immer noch ihre Bewunderung aus:

 

„[…] they never wanted a thank you, ever. […] Wonderful people, some of them were really, they risked their own most of them risked their own life to take care of us and there were quite a few survivors in Holland.”

“ […] sie wollten nie ein Dankeschön, jemals. […] Wundervolle Menschen, manche von ihnen, eigentlich haben die meisten von ihnen ihr eigenes Leben riskiert, um sich um uns zu kümmern, und es gab einige Überlebende in Holland.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Elisabeths Situation im Versteck verschärft sich 1945, als sich der kalte Winter zu einem „Hungerwinter“ entwickelt. Im Laufe der Kriegsjahre beziehungsweise ab Beginn der deutschen Besatzung im Mai 1940 werden Nahrungsmittel auch in den Niederlanden immer knapper. Ein System, nach dem Lebensmittel nur durch Bons ausgegeben wurden, betrifft zunächst nur Kaffee, Tee und Brot. In den kommenden Jahren wird dieses System aufgrund von Lebensmittelknappheit jedoch auf immer mehr Lebensmittel ausgeweitet, bis man sie im Juli 1944 nicht mehr im freien Handel erwerben kann. Demzufolge, und auf Grund von Transportschwierigkeiten, führt diese Knappheit im Winter 1944/45 zu einer massiven Hungersnot, die alle Teile der Bevölkerung betrifft. Elisabeth, die ohnehin schon wenig Essen bekommt, da sie keine eigenen Rationen beziehen kann, leidet enorm in dieser Zeit. Es gibt kaum Heizöl und Elisabeth sieht sich in ihrer Not gezwungen, Tulpenzwiebeln zu essen, da es sonst nichts gibt. Diese Zeit sorgt mitunter für gesundheitliche Probleme:

 

„[…] The danger was also, what if you become sick? You certainly couldn’t go to a doctor when you were in hiding. And I know at one point I had a terrible toothache, and it was a wisdom tooth, and it was actually yanked out, like you laugh about now, with a thread and the door, because I could never leave and that was a very difficult time […]. Being isolated that much there wasn’t much chance of getting sick, but I was getting very weak […] after three and a half years getting very little to eat and very little movement.”

„Außerdem gab es die Gefahr, was wenn du krank wirst? Du konntest nicht zu einem Arzt gehen, während du versteckt warst. Und ich weiß, dass ich an einem Punkt schlimme Zahnschmerzen hatte, es war ein Weisheitszahn und er wurde tatsächlich rausgerissen, wie man sich heute drüber lustig macht, mit einem Faden und der Tür, weil ich [mein Versteck] nie verlassen konnte und das war eine schwierige Zeit. Auch wenn ich, so lange isoliert, keine große Chance hatte, krank zu werden, wurde ich sehr schwach, nach dreieinhalb Jahren in denen ich wenig Essen und Bewegung hatte.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Elisabeth war eine von vielen Juden, die sich in den Niederlanden versteckten, eine von 28.000. Für viele war das Versteck die letzte Option, um den Deportationen in Arbeits- oder Konzentrationslager zu entkommen. Arten von Verstecken gab es viele. Kinder wurden in nicht-jüdische Familien aufgenommen, manche gaben sich als entfernte Verwandte aus oder tarnten sich als Erntehilfen auf Bauernhöfen. Unabhängig vom Ort des Verstecks, ob in der Stadt oder auf dem Land, unabhängig vom Alter oder der Herkunft der Versteckten, alle litten auf eine Weise, die für uns heute, trotz detailreicher Beschreibung, unvorstellbar ist. Dieses Leben in der „Nicht-Existenz“ war geprägt von Hunger, Einsamkeit und Monotonie, von der konstanten Angst verfolgt, verraten oder entdeckt zu werden. Die psychische Belastung, die die Versteckten erleben mussten, verfolgte viele für den Rest ihres Lebens.

Befreiung und Leben danach

Bereits im April 1944 wird die nördliche Hälfte der Niederlande von alliierten Soldaten befreit. Die südliche Hälfte, in der unter anderem Amsterdam liegt, bleibt jedoch zunächst in den Händen der Deutschen. Erst als Deutschland am 7. Mai 1945 die Kapitulation unterschreibt, werden auch die südlichen und westlichen Gebiete befreit. Auch wenn die Freude der Bevölkerung enorm ist, bekommt Elisabeth davon nicht viel mit:

 

„And then in 1945 finally, liberation came. We were liberated by the Canadians, and I must tell you, when people ask me now “How was liberation?”. I couldn’t answer it. I was almost comatose I was 68 pounds I was told. And I was worked over by nurses and doctors, and I heard stories “Well I don’t think she’s gonna make it.”.

“Und dann, 1945, kam die Befreiung. Wir wurden von den Kanadiern befreit, und ich muss sagen, wenn Leute mich jetzt fragen „Wie war die Befreiung?“, konnte ich das nicht beantworten. Ich war fast komatös, ich habe nur 68 Pfund gewogen, wurde mir gesagt. Und ich wurde bearbeitet von Krankenschwestern und Ärzten und ich hörte Geschichten „Ich glaub nicht, dass sie es schaffen wird.“.

(Übersetzung durch Verfasserin)

Kanadische Militärfahrzeuge bei der Befreiung von Amsterdam (Gemeente Amsterdam Stadsarchief, Bilddatei: 010009000018)

Durch die Befreiung verbessert sich Elisabeths Situation langsam und stetig. Sie wird medizinisch versorgt und bekommt extra Rationen von kanadischen und amerikanischen Befreiern, um ihren gesundheitlichen Zustand zu bessern. Sie trifft ihre Mutter wieder, die den Krieg ohne größere Vorkommnisse überstanden hat, und zieht zurück zu ihr nach Den Haag. Ihre Mutter öffnet das Modegeschäft „Gerstel“ erneut, auch wenn es aufgrund der anhaltenden Armut kaum Kundschaft gibt. Zusammen gehen Elisabeth und ihre Mutter manchmal zu den Zügen, die Gefangene aus Auschwitz zurück transportieren, in der Hoffnung, dass Arthur oder Ernst unter den Überlebenden sind, jedoch vergeblich. Zu dieser Zeit beginnt Elisabeth, Kontakt mit einem alten Freund aus Köln aufzunehmen, mit dem sie lange per Brief korrespondiert. Sie arbeitet als Stenographin, trifft sich mit Freundinnen und lernt junge Männer kennen. Sie beschreibt, dass die Erfahrungen, die sie gemacht hatte, sie sehr haben reifen lassen.

Schicksal jüdischer Familienmitglieder

Elisabeth und Elfriede gehören zu den wenigen Familienmitgliedern, die den Holocaust überleben.

Nachdem Arthur Gerstel im August 1942 in Den Haag festgenommen worden ist, wird er ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort wird er kurze Zeit später, am 30. September 1942, von den Nationalsozialisten ermordet. Auch Ernst Kaufmann stirbt früh. Nach seiner Verhaftung im November 1943 wird er zunächst in das niederländische Konzentrationslager Vught deportiert, bevor er am 2. März 1944 in das Arbeitslager Westerbork kommt. Einen Tag später wird er dann nach Auschwitz transportiert. Am 6. März 1944 wird Ernst Emanuel Kaufmann im Alter von 55 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht. Auch Sali Salm, Elfriedes Vater, wird am 10. Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er drei Tage später umkommt. Elisabeths Cousin Fritz Kaufmann wird zusammen mit Ernst verhaftet und ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert, wo er am 8. März 1945 im Alter von 25 Jahren ermordet wird. Seine Schwester Annemarie kann 1941 in die USA flüchten

Nach all dem Leid, das Elisabeth und ihre Familie durch die Hand der Nationalsozialisten erfahren haben, ist eine Rückkehr in das besetzte Deutschland nach 1945 auch für sie unvorstellbar. Elisabeth entwickelt eine Angst, dass sie zurück nach Deutschland geschickt wird, und beginnt im Laufe der Jahre 1945 und 1946 den Prozess, der nötig ist, um in die USA auszuwandern.

Emigration in die USA

Um in den 1940er Jahren in die USA auszuwandern, muss Elisabeth einen aufwendigen Prozess durchlaufen. Dass sie seit 1935 keine deutsche Staatsangehörigkeit mehr hat und somit als „staatenlos“ gilt, erschwert diesen Prozess in vielen seiner Schritte. Elisabeth muss sich zunächst beim US-amerikanischen Konsulat in Rotterdam melden, um dort auf eine Warteliste gesetzt zu werden, damit sie dann für ein Visum registriert wird. Währenddessen besorgt Elisabeth alle nötigen Dokumente, darunter einen Visums-Antrag, ihre Geburtsurkunde, ein polizeiliches Führungszeugnis und eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung. Zudem braucht sie ein ärztliches Attest, das belegt, dass sie sowohl frei von übertragbaren Krankheiten als auch geistig gesund ist. All diese Dokumente bezeugen, dass Elisabeth geeignet ist, in den USA zu leben und dort ihren Pflichten als Bürgerin nachzukommen. Eine weitere Bedingung ist, einen amerikanischen Sponsor zu haben, der sie nach ihrer Ankunft finanziell unterstützt und die Verantwortung für ihre Immigration übernimmt. Elisabeths Sponsor ist Harry Rosenberg, der Freund aus Köln, mit dem sie nach dem Krieg Briefkontakt aufgenommen hat.

Am 28. Juni 1946 wird Elisabeth das Visum für die Vereinigten Staaten ausgestellt.

 

Abreise nach Göteborg und Überfahrt nach New York

Nach Erhalten ihres Visums kann Elisabeth nun in die USA auswandern. Dieses erweist sich jedoch zunächst als schwierig, da es keine niederländisch-amerikanische Direktverbindung gibt, weder über See noch per Flugzeug. Sie tritt mit entfernten Verwandten aus dem schwedischen Göteborg in Kontakt, die es ihr ermöglichen für ein paar Tage bei ihnen zu bleiben, bis Elisabeth dann auf einem Schiff von Göteborg nach New York reisen kann. Elisabeth beschreibt, dass es ihr sehr schwer fiel, sich von ihrer Mutter zu verabschieden. Vor allem, weil beide nicht wissen, was nun auf sie zukommt, schließlich gibt es keine Garantie, dass Elisabeth in den USA zurechtkommt. Mit Sicherheit spielt auch der Verlust vieler Familienmitglieder und Vertrauter eine Rolle, warum dieser Abschied besonders war. Trotzdem ermutigt Elfriede Elisabeth in die USA zu gehen. Die nun 22-jährige Elisabeth fliegt allein nach Stockholm und nimmt von dort einen Zug nach Göteborg. Sie bleibt für etwa eine Woche bei ihren Verwandten, bis sie am 23. Juli 1946 auf der M.S. Gripsholm ihre Reise in die USA antritt.

Die M.S. Gripsholm 1926 (https://web.archive.org/web/20190207084858/http://ndlberlin.com/images/out/pc1926.jpg)

Die M.S. Gripsholm ist ein luxuriös ausgestatteter Ozeandampfer. An Bord hat Elisabeth die Möglichkeiten Sport zu machen, Tontauben zu schießen oder sich massieren zu lassen. Daneben gibt es Live-Musik, medizinische Versorgung und Friseure. Auf See gibt es vier Mahlzeiten am Tag: Frühstück, Mittagessen, Tee um 16:00 sowie Abendessen. Elisabeth beschreibt selbst, dass sie auf der Reise vor allem isst, da es eine Auswahl an Lebensmitteln gibt, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat.

Am 5. August 1946 kommt Elisabeth nach 13 Tagen Reise in New York City an.

Leben in den USA

Ankunft in New York und Hochzeit

Harry Rosenberg holt Elisabeth noch von Bord der M.S. Gripsholm, ein Treffen, dass Elisabeth sehr nervös macht, da sie sich lange nicht gesehen haben. Sie verstehen sich jedoch gut, besuchen zusammen seine Schwester Margot und auch Elisabeths Onkel und Tante, Hermann und Anne Kaufmann, bei denen Elisabeth für eine Zeit lang wohnt. Nach über einem Jahr Briefkontakt und nun Elisabeths Immigration nach Amerika  beschließen Elisabeth und Harry, zu heiraten. In Anwesenheit von Harrys Schwester und Elisabeths Onkel und Tante werden sie am 7. August 1946 von einem Friedensrichter verheiratet. Elisabeths Mutter ist nicht anwesend, da diese noch in den Niederlanden lebt und die Hochzeit für eine Anreise zu spontan war.

Auch Harry gibt 1996 ein ausführliches Interview über sein Leben. Er wurde als Karl-Heinz Artar Rosenberg am 9. April 1921 geboren. Als Sohn von Max und Alice Rosenberg (geb. Marum) ist er das jüngste von drei Kindern, mit einer großen Schwester und einem älteren Bruder. Harry und Elisabeth lernen sich noch vor dem Krieg in einem Kölner Tennisclub kennen, und sie haben auch während Elisabeths Leben in den Niederlanden bis 1941 Kontakt. Auch Karl-Heinz und seine Familie sind jüdischen Glaubens, und werden in Deutschland verfolgt, sodass Karl-Heinz 1940 von London per Schiff in die USA emigriert, wo seine Schwester Margot bereits lebt. Bei seiner Ankunft ändert er seinen Namen zu Harry Arthur Rosenberg und wird 1942 in den Krieg eingezogen, den er zu großen Teilen mit der US Navy in China verbringt.

Nach ihrer Hochzeit zieht Elisabeth zu Harry nach Claremont, New Hampshire, wo sie ein Haus in der Goyette Avenue 38 bewohnen. Während Elisabeth vermutlich als Hausfrau zuhause bleibt, arbeitet Harry in der Stahl-Industrie.

 

Besuch und Schicksal von Elfriede

Im April 1948 reist Elfriede in die USA, um Elisabeth und Harry zu besuchen. Es ist das erste Mal, dass sich Elisabeth und ihre Mutter nach der Emigration Elisabeths wiedersehen. So ist die Freude vermutlich groß. Kurze Zeit später, vermutlich wieder in Den Haag, bekommt Elfriede, nun in ihren 50ern, die Diagnose Leukämie. Elisabeth beschreibt die Krankheit ihrer Mutter nicht im Detail, erwähnt jedoch, dass diese schwer krank wieder in die USA kommt. Dort kümmert sich Elisabeth um sie und bringt sie regelmäßig zur Behandlung ins Dartmouth–Hitchcock Medical Center, ein naheliegendes Krankenhaus. Trotz der Behandlung stirbt Elfriede am 15. Februar 1957. Sie ist auf einem Friedhof in Claremont, New Hampshire begraben.

 

Andrew Scott Rosenberg

Vermutlich noch Anfang der 1950er Jahre finden Elisabeth und Harry heraus, dass sie keine leiblichen Kinder bekommen können. Es lässt sich vermuten, dass das auf Elisabeths jahrelange Unterernährung in ihrem Versteck zurückzuführen ist. Sie entschließen sich zur Adoption und wenden sich an eine Agentur, die Adoptionen vermittelt. Bei einer Adoption wird auch die Religion nicht außer Acht gelassen, und während Elisabeth und Harry auch katholische Kinder adoptieren würden, hat die Katholische Kirche großen Einfluss darauf und fordert vehement, dass katholische Kinder in katholische Familien adoptiert werden. Vermutlich um 1955 adoptieren die Rosenbergs ihren, dann 5 Jahre alten, Sohn Andrew Scott Rosenberg, der bereits am 22. August 1950 geboren wurde. Zusammen wohnen sie in Claremont, wo Andrew aufwächst. Über seine frühere Bildung ist nichts bekannt, jedoch besucht er später die Stevens High School in Claremont.

Später studiert er zunächst an der Antioch University in Ohio und dann an der Northwestern Universität. Er beendet sein Studium mit einem Magister Artium in Psychologie. Während seiner Zeit an der Universität lernt er Cheryle Sims kennen, die er 1972 heiratet. Zusammen ziehen sie nach Roslindale, ein Stadtteil in Boston, Massachusetts.

 

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Im Sommer 1982 befinden sich Elisabeth und Harry im Urlaub in der Schweiz, als sie beschließen Köln zu besuchen. Seit ihrer Emigration in die Niederlande 44 Jahre früher ist es das erste Mal, dass Elisabeth wieder in Köln ist. Sie bleiben ein paar Tage, besuchen Orte, die ihnen im Gedächtnis geblieben sind, darunter die neu erbaute Synagoge, vermutlich die der Roonstraße. Sie besuchen die Orte, wo sie früher gelebt haben, auch wenn sich dort viel verändert hat. Sie führen viele Gespräche mit Bewohnern, welche geteilte Meinungen über das Regime der Nationalsozialisten haben, manche fühlen sich schuldig, während andere immer noch denken, dass die Hitlerjahre eine gute Zeit waren. Auf die Frage, wie sie sich während ihres Aufenthaltes in Köln gefühlt hat, antwortet Elisabeth:

 

„Very mixed. I felt this was part of the childhood which, never was really a childhood, we were torn away. And yet I was so Americanised that I couldn’t even imagine living there again. Then it had some nostalgia too. It was part of a childhood, it was part of a family-togetherness. It had a lot of aspects that brought on a lot of memories, good and bad.”

„Sehr gemischt. Ich hatte das Gefühl, es war Teil einer Kindheit, die nie wirklich eine Kindheit war, wir wurden weggerissen. Und trotzdem war ich so amerikanisiert, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dort zu leben. Es war Teil einer Kindheit, es war Teil einer Familienzusammengehörigkeit. Es hatte viele Aspekte, die Erinnerungen hoch gerufen haben, gute und schlechte.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Der Besuch in Köln muss für Elisabeth ein Schlüsselereignis in der Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit gewesen sein. Trotzdem zeigt ihre Beschreibung, dass sie weiterhin ein erschwertes Verhältnis zu Köln hat.  Das hält sie jedoch nicht davon ab in den USA, Menschen ihre Erfahrungen nahe zu bringen. Sie beschreibt die Philosophie, nach der sie agiert, in ihrem Interview 1996:

 

„Well, I feel, first of all, its better to use words than build monuments. That’s my first feeling. And therefore, I have made it my profession almost, to spread the word what really happened, so it would never happen again. Because I do believe that it didn’t all end with Hitler. Inhumanity to man will always crop up somewhere in the world and it is very important to keep this educational process going and that’s what I’m really interested in. […] And I think that’s a very valuable contribution for generations to come, because this has not ever ended. […] And therefore, I feel, even if sometimes I feel bitter about never having what you call a “normal childhood” I still feel its important to talk about it.”

“Also, ich denke, erstens, dass es besser ist Wörter zu benutzen, anstatt Monumente zu bauen. Das ist mein erster Gedanke. Und deshalb habe ich es fast zu meinem Beruf gemacht, zu teilen, was wirklich passiert ist, damit es nie wieder passiert. Denn ich denke schon, dass es nicht alles mit Hitler geendet hat. Unmenschlichkeit gegenüber Menschen wird immer irgendwo in der Welt auftauchen und es ist sehr wichtig diesen Bildungsprozess weiterzuführen und daran bin ich sehr interessiert. […] Und ich denke, dass das ein wertvoller Beitrag für die kommenden Generationen ist, weil es nie geendet hat. […] Und deswegen, denke ich, auch wenn ich manchmal verbittert darüber bin, dass ich nie eine „normale Kindheit“ hatte, dass es wichtig ist darüber zu reden.“

(Übersetzung durch Verfasserin)

 

Ab 1987 spricht Elisabeth regelmäßig in amerikanischen Schulen und erzählt Schüler*innen von den Erfahrungen, die sie im Krieg gemacht hat, damit diese die Geschichte einer Überlebenden hören können. Bereits 1984 gibt Elisabeth ein Interview an das United States Holocaust Memorial Museum, in dem sie ihre Lebensgeschichte im Detail beschreibt.

Später berichtet sie, dass im Jahr 1994 ein Treffen ehemaliger Jawne-Schülerinnen in Palm Beach Florida stattgefunden hat. Anwesenden sind unter anderem nach Jamaica und London geflohen und auch Elisabeths Cousine Annemarie ist anwesend.

1996 wird sie dann erneut interviewt, dieses Mal für das Visual History Museum, indem sie unter anderem beschreibt, dass sie Teil eines „Holocaust Education Committee“ ist. 2002 wird Elisabeth in einem Artikel der „Sarasota Herald-Tribune“ erwähnt, der Auskunft über jenes Buch gibt, das 2003 über sie veröffentlicht wird. Unter dem Namen „The Liesel Rosenberg story: a true story of friendship“ wurde ein kurzes Buch über ihre Geschichte verfasst.

Ihre letzten Jahre verbringt Elisabeth in Sarasota, Florida, wo sie und ihre Familie nun wohnen. Am 14. Juni 2012 verstirbt Elisabeth Rosenberg, geb. Kaufmann. Sie stirbt im Alter von 89 Jahren eines natürlichen Todes.

Elisabeths langes und in all seinen Facetten dokumentiertes Leben ist ein letzter Widerstand gegen die Nationalsozialisten, die Jahre lang das Ziel verfolgten, sie, ihr Leben und ihre Existenz zunichte zu machen. Elisabeth ist neben Harry Rosenberg begraben, der bereits 2002 stirbt. Zusammen ruhen sie in Claremont, New Hampshire, auf demselben Friedhof, auf dem auch Elisabeths Mutter liegt. Sie wird betrauert von ihrem Sohn Andrew, dessen Frau Cheryle, ihren Enkeln, Michael und Matthew, sowie seiner Frau Carli und ihren Großenkeln Sam und Eli Rosenberg.

Nachwort

"I want young people to be vigilant politically and otherwise so that nobody can come up like Hitler did. They need to vote, look after our liberties and way of life. It's very important for young people to know what happened, so it doesn't happen again,"

“Ich möchte, dass junge Menschen politisch und anderweitig wachsam sind, damit niemand so auftreten kann, wie Hitler es getan hat. Sie müssen wählen, auf unsere Freiheiten und unsere Lebensweise aufpassen. Es ist wichtig für junge Menschen zu wissen, was passiert ist, damit es nicht nochmal passiert.“

(Übersetzung durch die Verfasserin)

 

Elisabeth setzt sich noch lange für eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust ein und es wird in den Interviews deutlich spürbar, wie wichtig ihr diese Arbeit ist. Sie richtet sich dabei besonders an die junge Generation, fokussiert sich zu Lebzeiten jedoch auf die USA, vermutlich aus praktischen Gründen und weil ihre Beziehung zu Deutschland für den Rest ihres Lebens belastet sein wird.

Mit Elisabeths Tod 2012 kommt ihre Arbeit zu einem Ende. Mit Sicherheit wurde sie nicht vergessen, aber fortgesetzt wurde sie auch nicht.

Dank dieses Projektes haben wir an der Königin-Luise-Schule nun einen detaillierten Überblick über Elisabeths Leben, und ihre Geschichte wird nun auch in Deutschland auf Interessenten stoßen, auf Leute, die ihre Geschichte und ihre Arbeit bewundern. Viel wichtiger ist jedoch, dass wir nun die Möglichkeit haben, Elisabeths Werk hier in Deutschland weiterzuführen, indem wir sie in allem, was uns möglich ist, ehren.

Und es wird immer wieder deutlich, wie wichtig es hier, im Land der Täter, ist, über diese Geschichten zu lernen. Ich bezweifele, dass Elisabeths Lebensgeschichte, ihr Leid und ihre Resistenz vergessen wird, aber es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das unter keinen Umständen passiert.

Quellen:

Rosenberg, Elizabeth / Belsky, Theodore (Interviewer): Oral history interview with Elizabeth Rosenberg, 1984; https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn513840 ; abgerufen am 20.10.2023.

Rosenberg, Elizabeth / Travis, Pamela (Interviewer): Elizabeth Rosenberg, 1996; https://vha.usc.edu/testimony/18788?from=search&seg=12 ; abgerufen am 20.10.2023.

Rosenberg, Harry / Travis, Pamela (Interviewer): Harry Rosenberg, 1996; https://vha.usc.edu/testimony/18791?from=search&seg=10 ; abgerufen am 20.10.2023.

Barnouw, David: Anpassung, Kollaboration, Widerstand: Niederlande und Belgien. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Herrschaft. Nationalsozialistische Besatzung in Europa und die Folgen, Freiburg im Breisgau: 2022 (S. 191 – 211)

Erkelenz, Dirk / Kahl, Thomas (Hrsg.): Jüdische Schülerinnen und Schüler an Kölner Gymnasien. Ihre Geschichte(n) zwischen Integration, Ausgrenzung und Verfolgung, Berlin: 2023 (S. 16 – 31; 59ff.)

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